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Europa

Europas alte und neue Angstherrscher

Keno Verseck
Journalist

geb. 1967 in Rostock, freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Mittel- und Südosteuropa.

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Keno VerseckMittwoch, 07.12.2016

1977, ich war zehn Jahre alt, hatte ich in der DDR einen gleichaltrigen chilenischen Freund, den ich sehr mochte. Seine Familie und er waren vor der Pinochet-Diktatur geflüchtet. Wir konnten uns kaum verständigen, aber sehr gut Fußball zusammen spielen. Eines Tages kam die SED-Parteisekretärin, die die Emigranten beaufsichtigte, zu mir und sagte, ich dürfe mit Andrés nicht mehr spielen. Keine Begründung. Wir spielten trotzdem heimlich miteinander.

Ein paar Jahre später, 1980/81, zu Zeiten von Arbeiterstreiks, Solidarność und Kriegsrecht in Polen, hetzten die Lehrer an unserer Schule, vor allem die junge Staatsbürgerkundelehrerin, im Unterricht gegen „faule Polen“ und erzählten immer wieder Polenwitze, sogar während der berühmt-berüchtigten Paketaktion im Winter 1981. Vermutlich war die rassistische antipolnische Propaganda zentral von der Stasi angeordnet worden.

Noch ein paar Jahre später wurde ich an meinem Zwangsarbeitsplatz in einem Rostocker Schlosserbetrieb jeden Mittag in der Kantine von der Belegschaft als „schwule Sau" ausgebuht. Neun Monate lang, jeden Tag. Niemand widersprach, niemand unternahm etwas. Vermutlich hatte auch dabei die Stasi ihre Finger im Spiel.

An diese und andere ähnliche Episoden aus meiner Kindheit und Jugend in der DDR musste ich denken, nachdem ich Herta Müllers Text über die „Angstherrscher“ gelesen hatte. Der Text ist eigentlich ein Vortrag, den sie zur Eröffnung der Konferenz „European Angst“ in Brüssel am Dienstag hielt. Im Teaser der „Welt" zu dem Text heißt es: „Ganz Osteuropa war vor 1989 xenophob. Auch Verachtung der Fremden blühte damals in der Diktatur. Sie zeigt sich heute wieder in aller Hässlichkeit.“ Doch es geht um viel mehr, und Herta Müller beschreibt das sehr persönlich: darum, wie autoritäre und totalitäre Machthaber und ihre Handlanger alle Register von Angst, Demütigung und Ressentiment ziehen, um ihre Untertanen in Schach zu halten und sie zu Komplizen zu machen.

Ein atemberaubender und hochaktueller Text.

Europas alte und neue Angstherrscher

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Kommentare 3
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor fast 8 Jahre

    Vielen Dank für das Teilen deiner Eindrücke von damals.

  2. Simone Brunner
    Simone Brunner · vor fast 8 Jahre

    Ich finde auch, dass der Teaser viel zu kurz greift. Da dachte ich unwillkürlich: Schon wieder so ein "Osteuropa-und-sein-Rechtsextremismus/Populismus-Problem"-Text. Als jemand, der in Österreich aufgewachsen ist und den politischen Aufstieg Jörg Haiders miterlebt hat, kann ich solchen Osteuropa-Thesen nämlich wenig abgewinnen. Aber wie gesagt, dieser Text geht weit darüber hinaus. Ein wirklich toller Text!

    1. Keno Verseck
      Keno Verseck · vor fast 8 Jahre

      Hallo Simone, danke für Deinen wertschätzenden Kommentar. Ja, ich finde, wie gesagt auch, dass es ein wunderbarer Text ist.

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