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geb. 1967 in Rostock, freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Mittel- und Südosteuropa.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán wird in Ungarn und auch im Ausland gemeinhin als machtbessener Politiker eingeschätzt, der für seinen Machterhalt gern auch Überzeugungen über Bord wirft. Meines Erachtens nur teilweise richtig. Orbán kann sich, je nach Situation, flexibel und geschmeidig ausdrücken, aber er hat seit langem einige tiefe Überzeugungen, die er in seinen Reden immer wieder ausspricht. Er hasst das „linksliberale Europa“ und die „linksliberalen Brüsseler Reichsbürokraten“ („Neues Moskau“; „neues Politbüro“), und eine seiner Missionen sieht er darin, die „linksliberale Herrschaft“ in Europa ein für allemal zu brechen. Er strebt ein „Europa der Nationen“ an, das sich auf christlich-konservativen Traditionen und Werte besinnt. Mit der Flüchtlingskrise sieht Orbán nun einen Epochenwandel und zugleich die große Chance kommen, seine Europa-Mission zu verwirklichen. So sagte er es in einer Rede vor Ungarns national-konservativer Führungselite Anfang September in Kötcse, wo er jedes Jahr auftritt und Richtungsweisendes verkündet (hier für sprachkundige das Manuskript). Der Politologe und Ungarn-Kenner Jan-Werner Müller hat nun für alle, die nicht ungarisch sprechen und Orbán nicht im ungarischen Original verfolgen können, in einer Analyse die Entwicklung der letzten Jahre in Ungarn zusammengefasst, darunter vor allem Orbáns Handhabung der Flüchtlingskrise, und weist zugleich eben genau daraufhin, dass Orbán nicht nur Machttaktiker ist, sondern man seine Mission der „Zerstörung des liberalen europäischen Projektes“ unbedingt ernst nehmen sollte. Auf alle Fälle wird Orbán nach den Anschlägen von Paris nur noch eine kurze Zeit des Anstandsschweigens verstreichen lassen, bis er seinen Kreuzzug fortsetzt.
Quelle: Jan-Werner Müller/The New York Review of Books nybooks.com
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