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Was nützt die Liebe in Afghanistan?
Redakteur
Kurator'in für: Volk und Wirtschaft Medien und Gesellschaft Technologie und Gesellschaft Fundstücke
Leitet das Digital-Team im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung, was nicht heißt, dass er nur Nerd-Kram piqt. Studierte in Erlangen und Portland Politikwissenschaft und Amerikanistik, schrieb in Nürnberg, Berlin, New York und München. Interessiert an allem Politischen. Am Absurden sowieso. Süchtig nach Longreads.
Eine faszinierende Reportage aus Afghanistan, fernab der üblichen Klischees von Krieg und Islamismus. Reporterin Veronika Eschbacher konzentriert sich auf die Frage, wie eine Gesellschaft mit psychischen Problemen umgeht, wenn Tradition und Liberalisierung mit Gewalt aufeinandertreffen. Die Amerikaner und die Hilfsorganisationen haben dem Land einen Modernisierungsschub verpasst – mit dem es nun allein dasteht. Nun werden die einen immer offener, die anderen als Reaktion immer konservativer. Die Jungen verlassen die Dörfer, sie sprechen keine gemeinsame Sprache mehr mit ihren Eltern. Die Familie, die wichtigste Einheit im Land, steht unter Druck. Insbesondere die Frauen befreien sich aus diesem Gefängnis, um den Preis sozialer Ächtung.
Eschbacher spricht mit Psychologen, mit jungen Frauen in Behandlung, die sich selbst verletzen, und mit einem alten Analphabeten vom Land, der seine Tochter fördert und ihr ein liberales Leben wünscht - berührend. Die kurzen Videos im Text sind sehenswert.
Ein Psychologe schreibt, welche Offenheit – und neue Spannung - in das Verhältnis zwischen den Geschlechtern eingezogen ist:
Vor allem beim Thema Heirat sei dies ein Problem, mit dem er täglich zu tun habe. "Früher kannte die afghanische Gesellschaft ganz wenig Liebe", sagt Noorzad. Unverwandte Männer und Frauen waren räumlich getrennt, es gab keine Möglichkeit, jemanden kennenzulernen. Heute seien die Menschen freier, ihre Einstellungen hätten sich geändert. Frauen könnten sich draußen bewegen, sich Männer ansehen, und umgekehrt. Über Handys oder soziale Medien nähmen sie Kontakt auf. "Irgendwann verlieben sie sich", sagt der Psychologe. "Doch meistens können sie diese Liebe nicht leben, sie ist unerreichbar."
Beim Lesen machte ich eine überraschende Erfahrung: Obwohl es kaum unterschiedlichere Orte geben kann als das heutige Afghanistan und das Deutschland der Nachkriegszeit, erinnerten mich einige Elemente an den Riss, der in den Sechzigern durch unsere Gesellschaft ging: die Flucht aus den Familien, vom Land in die Stadt, der Aufstand gegen die Väter – hier autoritäre Christen, dort autoritäre Muslime – und der völlige Kollaps der Kommunikation zwischen den Generationen. Geschichte wiederholt sich offenbar manchmal an Orten, an denen man es nicht erwartet.
Quelle: Veronika Eschbacher Bild: Veronika Eschbacher zeit.de
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