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Wird die Welt immer besser oder schlechter? – Spoiler Alert: besser!

Tino Hanekamp
Autor

Tino Hanekamp war Journalist und Musikjournalist, hat in Hamburg zwei Musikclubs gegründet (Weltbühne, Uebel & Gefährlich), einen Roman geschrieben (‚So was von da‘) und unlängst ein Buch über Nick Cave ('... über Nick Cave'). Er lebt im Süden Mexikos.

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Tino HanekampSonntag, 13.01.2019

Die allgemeine Wahrnehmung ist ja die: alles geht den Bach runter, die Menschheit schafft sich selber ab, das Ende ist nah. Stimmt aber nicht, zumindest wenn man mal einen Schritt zurück geht und sich „the big picture“ anguckt. Dieser 18minütige TED-Talk des Psychologen, Linguisten und Wissenschaftsautoren Steven Pinker ist da sehr hilfreich. Pinker schüttet einen Sack voll Fakten aus, die man sich immer mal wieder vor Augen führen sollte: Es gibt weniger Hunger, Armut, Kriege und Analphabetismus denn je, wir leben sicherer, länger, glücklicher, arbeiten weniger (zumindest in der westlichen Welt), und es gab noch nie so viele Demokratien. Fortschritt, so Pinker, ist keine Frage von Optimismus, sondern ein glasklarer Fakt. Nur, warum nehmen wir ihn nicht wahr? Das hat was mit unserer neuronalen Programmierung zu tun – und den Marktzwängen der Medien. Niemand schreibt über Länder, in den Frieden herrscht, oder über Dinge, die nicht passiert sind, weil sich das nicht verkauft. Unsere „kognitive Verzerrung“ kombiniert mit der „nature of news“ – und Apokalypse ist immer. Natürlich wird nichts besser, wenn alle denken, dass alles gut ist, aber es wird auf jeden Fall alles schlechter, wenn wir glauben, dass alles nur schlechter wird. Dieses Endzeitdenken höhlt Demokratien aus und lässt Probleme nicht wie lösbare Probleme erscheinen, sondern wie Vorboten der Apokalypse. Die Folge: Zynismus und Zerstörung. Guter Vortrag. Macht Mut und Hoffnung und klärt den Blick.

Extra: Der italienische Künstler Mauro Gatti war der schlechten Nachrichten überdrüssig und hat die guten News des vergangenen Jahres in seinem The Happy Broadcast grafisch dargestellt. 

Wird die Welt immer besser oder schlechter? – Spoiler Alert: besser!

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Kommentare 13
  1. Tino Hanekamp
    Tino Hanekamp · vor fast 6 Jahre

    Interessant, wie Pinkers Vogelperspektive und Konzentration auf die Errungenschaften der letzten zwei- dreihundert Jahre Menschheitsgeschichte sofort zwei Reaktionen auszulösen scheint: Die Angst, dass die Hervorhebung der positiven Aspekte den Blick auf die Probleme verklärt, sich das Menschlein also einfach zurücklehnt und denkt, ist ja alles gut, machen wir also einfach so weiter oder gar nichts, und der von Herr Engelberg geäußerte Verdacht, dass hinter Pinkers Sichtweise eine Art Systempropaganda steckt. Da ist es ja dann auch bis zur Verschwörung nicht mehr weit. Sicher ist Pinker ein bisschen zu lasch in seiner Demokratie-Definition, und keine Ahnung, ob seine Fakten alle stimmen, gut möglich, dass er die zugespitzt hat, um seinen Punkt zu machen. Aber lieber Herr Engelberg, glauben sie wirklich, dass sich ein Harvard-Professor mit falschen Fakten vor ein Millionenpublikum stellt und seine Reputation riskiert? Und dass Demokratien durch kritischen Journalismus untergehen, sagt ja keiner - sondern dass der Zynismus sie aushölt, die Tatsache, dass viele Menschen nicht mehr daran glauben, dass die Institutionen in der Lage sind oder auch nur das Interesse haben, irgendwas besser zu machen. Und das hatten wir ja auch schon oft, und das ging meistens nicht so gut aus. Vor allem geht es Pinker hier aber - so wie ich das verstehe - nicht darum, den kritischen Blick durch die rosarote Brille zu ersetzen, sondern der allgemeinen (und nun wahrlich nicht neuen) Weltuntergangsstimmung und damit einhergehenden Mutlosigkeit etwas entgegen zu setzen, das letztlich nur sagt: Hey, die Menschheit hat schon einiges zum Besseren gewendet, geben wir den Mut nicht auf und machen wir weiter.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 6 Jahre

      Merkwürdigerweise erhielt ich Ihre Antwort erst jetzt.

      Jetzt nur schnell drei Punkte:

      1.) Vor jeder Revolution verloren viele Menschen das Vertrauen in die Institutionen. Und das ging nicht immer gut aus, aber die große Fortschritte sind damit verbunden.

      2.) Es ist keine Verschwörungstheorie, wenn ich auf Merkwürdigkeiten aufmerksam mache, die sich ausdrücklich nicht auf Pinker beziehen.

      3.) Dass Professoren auch renommierter Universitäten ihre Reputation verloren, gab es schon.
      Mittlerweile werden Sie ja auch gelesen/gehört haben, viele Medien berichteten es, dass Nassim Nicholas Taleb die Statisten von Steven Pinker bezweifelt, ihm sogar Unwissen über statistische Begriffe wie Varianz und Korrelation unterstellt.

    2. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor fast 6 Jahre

      @Achim Engelberg Herzlichen Dank. Hier schnell Antworten:

      1.) Durchaus! Und vielleicht fehlt mir die Fantasie, ich sehe nur niemanden, der irgendeine Idee hat, wie es nach einem Systemsturz o.ä. neu und besser weiter gehen sollte, und befürchte, dass sich das Chaos dann nur die mit den meisten Waffen zunutze machen werden - gefühlt sagt einem ja jeder Politikwissenschaftler das Zeitalter des Totalitarismus' voraus, das kann aber auch meine verzerrte Wahrnehmung sein ...

      2.) Okay, verstanden.

      3.) Taleb bezieht sich da aber meines Wissens vor allem auf Pinkers Behauptung, dass es weltweit weniger gewalttätige Auseinandersetzungen gibt - er geht aber auch ganz generell Statistiker an, nicht nur Pinker, und dabei geht es ihm um die Art, wie diese Zahlen gewonnen und interpretiert werden. Hier wurden Pinkers Daten untersucht:

      https://towardsdatasci...

      Fazit: "In a narrow point of view, Pinker is correct: rates of violent conflict have substantially decreased and there is reason to believe they are at the lowest point in human history (if only because data is limited)." -- im weiter gefassten Blick könnte er jedoch daneben liegen, siehe Text.
      Wie auch immer: Ich finde nicht, dass das Pinkers grundsätzliche These unterminiert. Die hat meines Wissens sonst auch noch niemand angefochten. Aber sicher kann man das alles auch anders sehen und interpretieren, und das wird ja auch meistens gemacht, Stichwort Alarmismus, und der ist ja durchaus berechtigt. Nur kann man eben auch mal die Perspektive wechseln und erkennen: Es wird nicht alles immer nur schlechter ...

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 6 Jahre

      @Tino Hanekamp zu 1.) Die vielen Fehler/Krisen zeigen doch, es bedarf einer Änderung, sonst ist ein Sturz unvermeidlich. Und in welche Richtung es gehen könnte, dafür gibt es ja Hinweise: die Gräben zwischen Arm und Reich sind zu groß geworden.
      zu 3.) Es wird nicht alles immer nur schlechter. Geschichte verläuft nicht einsträngig und mir ist Pinker zu einseitig.

    4. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor fast 6 Jahre

      @Achim Engelberg zu 1.) über das WAS sind sich glaube ich auch die meisten einig, aber was das WIE angeht scheint mit niemand eine gute Idee zu haben - falls doch, bitte Link posten!

      zu 2.) Er liefert ja auch nur eine PERSPEKTIVE und nicht die ganze Wahrheit. Man kann das auch Pop-Wissenschaft nennen — es nimmt eine Haltung ein, bietet ein Gefühl. Darauf würde ich auch nicht meinen Wissenstand bauen, aber die PERSPEKTIVE ist interessant — und vielleicht sogar hier und da ganz hilfreich als eine Art positiver, ermutigender Impuls oder so. Ich glaube, mehr will das gar nicht sein.

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 5 Jahre

      @Tino Hanekamp Eine Idee von Raul Zelik postete ich vor einiger Zeit und heute diesen Vorschlag:

      https://www.piqd.de/ze...

    6. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor mehr als 5 Jahre

      @Achim Engelberg Vielen Dank für die Hinweise, sehr interessant, und Wright sagt ja schon in seiner ersten Antwort des von Ihnen verlinkten Interviews:

      "Das Konzept der Revolution beschreibt normalerweise die Idee eines Systembruchs, bei dem die politische Machtübernahme im Mittelpunkt steht. Die Staatsmacht wird erobert und genutzt, um grundlegende gesellschaftliche Strukturen schnell zu ändern. Danach finden kontinuierlichere Transformationen statt. Ich bin nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sehr skeptisch, was die Möglichkeit eines solchen Bruchs angeht. Man kann zwar das Alte niederreißen, aber die neue Gesellschaft, die aus diesen Ruinen entsteht, wird nicht unbedingt dem entsprechen, was wir für erstrebenswert halten. Meine Frage lautet deshalb: Wie können wir revolutionär in den Zielen bleiben, auch wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass wir mit einem Bruch dort hingelangen werden?"

      Ich verstehe das so, dass man das System - welches auch immer - von Innen heraus verändern muss, oder eben ohne alles Alte niederzureißen, und dafür muss man aber auch daran glauben, dass das geht, und dafür könnte jemand wie Pinker mit seinen mutmachenden Pop-Fakten nützlich sein. Über Pinker haben wir jetzt aber wirklich genug geredet, und ich bin mir durchaus bewusst, wie schädlich seine Auslegungen sein können (im Sinne einer Manifestierung der herrschenden Umstände), glaube aber, dass sehr viele Menschen es sich nicht einfach nur bequem machen wollen sondern schon wissen, dass man was machen muss, aber oft den Glauben daran verloren haben, dass das geht (was auch immer man da gerade zum vermeintlich/hoffentlich Besseren wenden will). Wer daran nicht glauben kann sondern immer nur von der Revolution redet, läuft Gefahr, irgendwann nur noch das zu machen: zu reden. Und im Zweifel einen "Bruch" herbeizureden oder zu sehen, der nicht das nach sich zieht, "was wir für erstrebenswert halten". Ich bedanke mich für den anregenden Austausch.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor fast 6 Jahre

    Dieser Ansatz beruht, ich versuchte, auch ein Buch von dem Herrn zu lesen, auf einer Vogelperspektive. Die kann man einnehmen, aber man sollte sie mit anderen verbinden. Wenn man das Epochenjahr 1989 zum Vergleich nimmt, nahm formal die Zahl der Demokratien zu. Russland, Türkei, Serbien (und die anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens) u. a. sind heute "Demokratien". Jeder vor Ort nimmt aber wahr, dass es in den letzten Jahren Rückschritte gegeben hat. Deshalb entstanden Ausdrücke wie POSTDEMOKRATIE (Crouch) oder FASSADENDEMOKRATIE (Schulze).

    Die These, dass die Demokratie durch kritischen Journalismus oder Skandalgeschichten untergegangen sei, müsste mal an einem Beispiel erläutert werden. Bis das nicht geschieht, plädiere ich dafür, die alte Sicht beizuhalten, dass die Demokratie durch Plutokratie zersetzt wird, also durch einen hohen Grad sozialer Ungleichheit, also die fast zum Klischee verkommene Schere zwischen Arm und Reich, die größer wird.

    Bei allen Piqs, die solche Thesen vertreten, und es gab zuletzt einige, kommt man direkt wie hier oder indirekt auf eine Quelle: Amerikanische Professoren.

    Sind hier Forschungsgelder geflossen, die solche Ergebnisse wollten? Ein Schelm, der Böses denkt?

    1. Frederik Fischer
      Frederik Fischer · vor fast 6 Jahre

      Mich würde es wundern, wenn Pinker sich "kaufen" ließe. Er war ja durchaus auch vor seinem letzten Buch und der begleitenden medialen Aufmerksamkeit (zumindest in den USA) einer der prominentesten Wissenschaftler und hätte einiges zu verlieren. Ich vermute eine Mischung aus cleverem Marketing in eigener Sache (die Strategie des Counter-Narrative) und aufrichtigem Glauben an seine "Mission".

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 6 Jahre

      @Frederik Fischer Bei Pinker stimme ich Dir zu.

      Insgesamt bin ich aber hellhörig, wenn die Rückschritte in der Demokratie, die ja auch die USA betreffen, nicht mehr gesehen werden oder so groß gerahmt werden, dass sie zu Oberflächengekräusel verkleinert werden. Letzteres ist legitim, wenn man andere Perspektiven einbezieht, Widersprüche nicht glättet.

  3. Daniela Becker
    Daniela Becker · vor fast 6 Jahre

    Ich verstehe den Ansatz, aber im Bereich der Klimakrise ist effektiv in den letzten Jahren nichts besser geworden und das darf man sich auch nicht schönreden.

    1. Tino Hanekamp
      Tino Hanekamp · vor fast 6 Jahre

      Macht ja hier auch keiner, glaube ich. Aber ist echt nichts besser geworden? Überhaupt nichts? Gar keine guten News von dieser Front? Bitte?!!

    2. Daniela Becker
      Daniela Becker · vor fast 6 Jahre

      @Tino Hanekamp Nein. Das Big Picture beim Klimawandel ist weiter: Emissionen weltweit weiter gestiegen. Ich reagiere deswegen auf diesen Post, weil das Problem des Klimawandels bei diesen "insgesamt wird alles besser" Betrachtungen fast immer ausgeklammert wird. Klar, ist schön wenn Kindersterblichkeit zurückgegangen ist. Das kann sich aber ganz schnell wieder drehen. Schon heute leiden Kinder in besonders betroffenen Regionen unter Wetterkapriolen, Armut und Hunger.

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