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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
… Now you listen to me, wie der korrupte Kyle Chandler alias Johnny Rayburn in der schön düsteren Familienserie „Bloodline“ gern seine Gesprächsbeiträge einläutet:
Das Gute liegt oft so nahe, dass du es nach dem Training am Kneipentisch neben dir gar nicht bemerkst (weil wir natürlich noch parallel Championsleague gucken oder 80er-Musikvideos kommentieren müssen, sowieso keiner dem anderen zuhört und jeder selber zu vielen geilen Scheiß auf Lager hat, enormer Gesprächsdruck nach zwei Bier).
In diesem Fall ist das Gute drei neue Bücher von befreundeten Autoren aus dem Umkreis der sogenannten Autonama (bitte nicht googeln), die ich so sehr mag, dass ich sie natürlich nicht neutral besprechen kann, und auf die ich hier aber dennoch auf das allererfreulichste hinweisen möchte.
Denn es sind drei Bücher, die dich in diesem tristen Frühjahr wieder mit auf die große Weltreise des Lesens nehmen, nach Braunschweig, Berlin und Russland. Orte, an denen auch nicht immer die Sonne scheint, aber die Dinge des ganz normalen Alltags (also Wahnsinns) in den Beschreibungen Uli Hannemanns, Falko Hennigs und Nik Afanasjews wieder golden aufscheinen und neu heimleuchten!
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Uli Hannemann kenne ich seit 2005 vom Fußball, was gut war, denn ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm. Da ich ihm vorher nie in persona begegnet war, sondern nur als begnadet schlechtgelauntem Taxi Driver-Texter im Berliner taz-Großstadtdschungel und großem Lesebühnenstar, praktisch jeden Abend in einem knallvollen anderen Laden. Dabei - ich werde die Herleitungen dieser Bekanntschaften hier nur kurz transparent machen, sonst gerät das hier zu tränenreich und der Leser fadet raus - ist Uli einer der liebenswertesten Menschen, tapfersten Autoren und lustigsten Linksverteidiger (oder alles umgekehrt), die ich kenne.
So ist es nur folgerichtig, dass er seine Charakterstärke eines Tages selbst noch am seit Nick Hornby ausgelutschtesten Genre ever, der Fußball-Fan-Faction, austesten musste.
Seine „Fanfibel Eintracht Braunschweig“ (culturcon) ist nichts für schwache Nerven, sie kommt passgenau wie der hartgeschossene Ball in die Eier zum Tiefpunkt seines Lieblingsvereins in der Hölle der 3. Liga, und ist dennoch so gut, dass sie auf amazon selbst von HSV-Fans 5 Sterne bekommt.
Hannemann schreibt, wo es am schönsten wehtut: über die jungen Hooliganjahre („… in die Fresse wollte ich allerdings nicht bekommen“), Magdeburg-Auswärtsspiele mit fußballfremder Frau oder Forderungen nach Blauhelm-Einsätzen für die korrupte FIFA-Bande in der Schweiz (die einzige Stelle, wo dem grundentspannten Hannemann so der Hut hochgeht, dass er haarscharf am Populismus schrammt – aber es stimmt ja: Gott, gib uns die Kraft, den immer absurderen Operettenfußball in Champions League und WM bald zu boykottieren!).
Schonungslos und sensibel arbeitet sich Uli aber auch an seiner eigenen Gegenwart ab:
In Berlin gibt es, nicht weit von meiner Wohnung entfernt, eine Kneipe, die explizit alle Eintracht-Spiele zeigt – ich nenne sie zum Schutz des Biotops hier „Kreuzberger Löwenklause“, sonst kommen am Ende noch Touristen. Dort versammeln sich am Spieltag echte Braunschweiger, die nicht wie ich nur den Geburtsort im Pass stehen haben. Expats quasi, die zum Teil im Trikot auflaufen. Ich sitze stumm im Hintergrund und verfolge fokussiert das Spiel. Völliger Tunnelblick. Vor mir kaspern die Braunschweiger rum, unterhalten sich, machen Sprüche. Sie sind für meinen Geschmack oft nicht konzentriert genug; ich vermisse den nötigen Ernst. Fast habe ich das Gefühl, jeder von ihnen wälzt seine Spannung auf mich ab und ich muss die dann ganz alleine stemmen. Ich bin ihr Jesus. Ich trage ihr Leid. Sie wissen es nur nicht.
Auch will ich mich während des Spiels nicht unterhalten. Selbst wenn der Gottesdienst im Fernsehen übertragen wird, quatscht man nicht dazwischen. Schweigend trinke ich drei Bier, um der Anspannung besser Herr zu werden – ihrer und meiner. Das zweite Bier wird um die 25. Spielminute herum bestellt und reicht bis zum Ende der Pause. Auch wieder nichts als Rituale. Obwohl ich tagsüber nicht rauche, brauche ich hier eine eigene Zigarette für die Nachspielzeit. Die wird ja mittlerweile inflationär gehandhabt. Sobald einem Balljungen mal das nasse Leder entgleitet, gibt es noch mal vier Minuten obendrauf. Höchst gesundheitsschädlich. Man müsste die Schockbilder auf Kippenschachteln noch um ein Motiv erweitern: die vom vierten Offiziellen hochgehaltene Tafel mit der leuchtenden Ziffer Vier. Sofort nach dem Schlusspfiff erhebe ich mich vom Barhocker, bezahle und gehe nach Hause. Ich drehe mich nicht um. So sehen heute meine Heimspiele aus.
Eine großartigere Beschreibung, wie einen die eigene Hypervigilanz beim Fußballgucken dazu zwingt, als Fan selbst (oder gerade!) unter eigenen Fans fremd zu werden, habe ich selten gelesen.
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Genausolang wie Uli kenne ich Falko Hennig, denn wir sind alle drei „Gründungsmitglieder“, die sich 2005 zu zwanzigst in einem Sandplatz-Käfig trafen, um uns deadly determined zum Team hochzutreten. Falko, der schon für Stuckrad-Barres Latenight-Show Bücher auf der Buchmesse klaute und im offenen Trabant durch Berlin cruiste, auf dem sein eigenes Buchcover prangte, kennt literarisch alle Höhen und Tiefen des Geschäfts, kam aber fußballerisch tatsächlich from the bottom, startete seine Karriere als heute meistgebuchter Hobbykicker Berlins (Spitzname „Falcao“) in Wanderstiefeln und wusste nicht, wie Einwurf oder Abseits geht ... was ihn nicht davon abhielt, sich komplett dem Spiel zu verschreiben.
Sorry für den ganzen Fußball (und die Sternchen zwischendrin – find ich schick). Ich erwähne das in Falkos Fall nur, weil er auch literarisch über eine mitreißende Resilienz verfügt, wie man nur erahnt, wenn man sich seine Kurzvita reinzieht:
1969 in Berlin geboren. War Schriftsetzer, Taxifahrer, Bauarbeiter und Touristenführer. Schreibt für taz, Titanic, FAZ und Berliner Zeitung. Mitglied der Reformbühne Heim & Welt, Gründer der Charles-Bukowski-Gesellschaft, Veranstalter der Talkshow RADIO HOCHSEE. Zwei Töchter, mehrere Romane – und seit ein paar Jahren schon Berlins belesenster Rikscha-Fahrer.
Diesem Nebenerwerb hat er jetzt den beeindruckenden Roman „Rikscha-Blues“ (Omnino, per Crowdfunding) abgetrotzt. Eine bewegende Biographie des In-Bewegung-Bleibens und Sich-nicht-hetzen-Lassens im auch heute immer noch möglichen Jedem-nach-seiner-Fasson-Berlin. Das Buch liest sich als Lebensreise so tröstlich wie alles vom anderen großen Alltagskünstler der Berlin-Beschreibung, Detlef Kuhlbrodt.
Meine Lieblingskapitel sind, wie er seinen Rikscha-Fahrgästen erzählt, wie er 1986 besoffen mit Ahne (blauer Würger!) eine Frauenmumie aus einem Sarg in der Parochialkirche klaut und mit ND in einen U-Bahn-Eingang setzt. Oder wie er dauernd so ostdeutsch unkompliziert übers Vögeln schreibt, dass man es fast selbst mal wieder versuchen möchte – zum Beispiel mit der wilden Nintje („Ja, fuck maar door! Ja, Jaaaa!“) auf dem schmutzigen Küchenboden der Dichterwohnung:
Nintje schrie, ihr Hund jaulte in Solidarität oder in einem Anfall von Musikalität mit und ich spürte erst seine Schnauze und dann seine Zunge an meinem Arsch. Leck mich am Arsch: der Hund leckt mich am Arsch!
Oder einfach blau macht und lieber zum Plötzensee fährt:
Mir war klar, dass ich mich natürlich drückte vor der eigentlichen Arbeit, vor der Akquise, der Steuer, dem Rechnungen schreiben, den unangenehmen Telefonaten mit den Redakteuren, vielleicht vor dem Leben an sich und zumindest vor dem Rikschafahren. Aber so lange ich mich vor dem Rikschafahren drückte, indem ich Rikscha fuhr, gab es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Und überhaupt, erst wenn ein Sonnentag mich nicht mehr dazu verlocken würde, an einen See zu fahren, erst dann musste ich mir Sorgen machen und vielleicht nicht einmal dann. Ich fuhr Rikscha gegen den Rikscha-Blues.
Ich überfuhr die Föhrer Straße und am anderen Ufer des Kanals war der Westhafen zu sehen. Viele Jahre hatte ich dort verbracht, weil der Zeitungslesesaal der Staatsbibliothek hier in einem alten Lagergebäude untergebracht war. Ich hatte 100 Jahre alte Zeitungen für meine Kolumnen und Artikel abgeschrieben und manchmal hatte ich meinen Vater getroffen, der genau der selben Tätigkeit nachging.
Damals hatten wir im Hafen Casino zusammen gegessen, das hatte aber längst zugemacht und mein Vater war gestorben.
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Und schließlich Nik Afanasjew: 1982 in Tscheljabinsk geboren, als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus der russischen Industriemetropole nach Deutschland ins Ruhrgebiet übergesiedelt, wo er nicht nur zum großartigen Reporter heranwuchs, sondern auch 884. der Schach-Weltrangliste wurde und zum Weltklasse-Stürmer heranreifte, der unser Team regelmäßig vor dem reinen Altherrenfußball rettet.
Anders als Relotius hat er den Reporterpreis bisher erst einmal, dafür aber mit seiner angenehm einfachen und klaren, nie auf dicke Hose machenden Sprache hochverdient gewonnen. Darüber hinaus haut er regelmäßig Bücher so trocken und nüchtern raus, wie er Bälle im Tor versenkt.
Das neueste ist „König, Krim und Kasatschok: Auf der Suche nach dem Russland meines Vaters“ (btb), in dem er auf so anrührende wie nachvollziehbare Weise immer wieder mit seinem im Westen nicht heimisch werdenden Vater über ihre Herkunft in Streit geraten, während sie gemeinsam auf dem Sofa sitzen und Russia Today gucken. Auf mein Exemplar hab ich mir extra als Merkzettel ein Post-it geklebt, auf dem „Ruptly“ und „Redfish“ steht: in Berlin ansässige Medienplattformen, die hier vom Kreml unterstützt linke Nachrichtenmagazine bei ihrer systemkritischen Arbeit zuarbeiten, um „den Westen“ so zu destabilisieren. Über so was kann man mit Nik immer super reden, weil er beide Seiten so gut kennt und für sein aktuelles Buch kreuz und quer durch seine alte Heimat gereist ist: Spurensuche und Recherche der temps perdu, ohne einen Hauch von übergroßer Nostalgie oder Schnellverurteilung.
Am besten haben mir die kleinen atmosphärischen Beobachtungen am Rande gefallen, die er immer wieder einfließen lässt:
Wie überall in Russland werden den Fußgängern die Grünphasen per herunterlaufender Uhr angezeigt, noch zehn Sekunden, noch neun, noch acht … was ein netter Service ist, aber auch sehr final wirken kann. Während wir mit Aljoscha und Lena neben zu vielen anderen Autos an einer Ampel stehen, eilt eine Oma über die achtspurige Straße, sie hinkt, die Uhr tickt, sieben, sechs, aufsteigende Panik im Oma-Gesicht, Motoren heulen los, die Oma reißt ihre Augen auf, als würde sie schon das letzte Licht sehen, der Countdown läuft, ihr finaler Countdown, gleich fahren sie alle los … die Oma springt halb auf den Bürgersteig – und hinter ihr bricht der Verkehr los. Geschafft! Noch einmal: geschafft.
Oder wenn er zu dem Fazit kommt, dass Russland vom Westen fasziniert ist und ihm fashion- und lifestylemässig zehn bis zwanzig Jahre hinterherhinkt (vor allem was Dekadenz, Abgefuckedheit und Lässigkeit angeht), gleichzeitig – und vielleicht genau deswegen – sein Selbstbewusstsein immer wieder aus einem zunehmend krasseren Patriotismus beziehen muss. Während es dem retro-nostalgischen Westen mit dessen unheilbarer Sucht nach Authentizität eine Art Zerrspiegel vorhält (zum Beispiel mit dem vom georgischen Designer Gosha Rubchinskiy international berühmt gemachten Gopnik-Style):
In dem Land, das ich gesehen habe, gibt es Freiheit, nur ist sie andersgeartet als ihre westliche Schwester. Es ist keine Freiheit, die der Staat ermöglicht, sondern eine Freiheit vom Staat. Innerhalb der Gesellschaft ist es manchmal eine asoziale Freiheit, sich mit spitzen Ellbogen gegen andere durchzusetzen oder seinen Müll auf Kosten der anderen einfach in die Natur zu kippen. Aber diese andere, diese russische Freiheit, sie ist real.
Ich habe ein Russland gesehen, bei dem die Menschen im persönlichen Umgang oft mindestens so herzlich und hilfsbereit sind, wie das Klischee es will. Die große Gemeinschaft, also die Gesellschaft an sich, wird als feindliches Terrain angesehen. Aber im Privaten haben sehr viele Menschen das Herz am rechten Fleck.
Ein Narr, wer nicht an Amerika und uns alle denkt. It’s a whole wide world out there – und wie schön wäre es, wenn es in ihr wirklich so was gäbe: Befreundete Bücher. Go and read it!
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sorry, aber mit dem Text kann ich wenig anfangen. Er sagt mir zu wenig über den Inhalt der Bücher. Und ganz ehrlich, meine Meinung ist: Der Text ist mir zu aufgesetzt. Soll vlt. authentisch wirken, wirkt aber bemüht. Nichts für ungut.