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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Mein neues Projekt ist, übriggebliebene oder sonstwie vergessene Bücher in freier Wildbahn der Witterung auszusetzen. Folge 1: "Biographie" (Folge 2: "Mein Leben als Tennisroman"). Das Projekt soll der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Literaturkritik dienen und ist natürlich inspiriert von Bolaños "2666" (einer Szene aus dem "Teil von Amalfitano", glaube ich). Der Erkenntnisgewinn bisher hält sich in Grenzen. Nach einer Woche Januarregen löst sich bei Biller langsam die Bindung auf (s. Foto).
Aber warum überhaupt Billers "Biographie"? – Das ist eine lange Geschichte der Unlesbarkeit, die ich hier nicht mal auswälzen will und die damit endete, dass das Buch – fair enough – auf den beiden Holzklötzen im Hausdurchgang endete, wo interessierte Nachbarinnen geschenkt was zum Lesen mitnehmen können. Der 800-Seiten-Roman fand eine Woche lang keinen Abnehmer. Dann stellte ich ihn raus in den Innenhof zum Überwintern, um zu gucken, was passiert.
Es passierte unter anderem folgendes: Vorletzten Donnerstagabend Neujahrstrinken in der Z-Bar mit dem Autor E und dem Agenten G. G schockierte mich irgendwann im Laufe des Abends (Aber wie kamen wir auf das Buch? Hatte ich unvorsichtigerweise was über mein "Projekt" fallen lassen?) mit der Auskunft, er habe "Biographie" komplett und – mit einigen Abstrichen im Mittelteil – gern durchgelesen. Dann korrigierte er sich ein wenig: Ihm habe vorher "Bruno Schulz" so gut gefallen, ein wirklich außerordentliches Buch, einigten wir uns alle drei schnell. Da wollte er, G, unbedingt auch "Biographie" lesen und hätte dem Buch einigen Kredit gegeben. Okay.
Der Abend endete weit nach Mitternacht damit, dass wir folgende biographische Fragen versuchten zu klären. Gibt es Altershomosexualität? (Vielleicht.) Ist wirklich jemand bisexuell? (Männer: nein, Frauen: eher.) Was ist die Lösung? E schlug vor, dass wir später alle zusammen in einem Männeraltersheim leben sollten: kein Stress mehr, Sky-Abo zusammenlegen, stilles Lesen. Bundesliga, Feierabendbierchen. Noch eine letzte Runde Gin Tonic.
Irgendwas an dem Vorschlag kam mir bekannt vor. Am nächsten Tag wusste ich wieder, woher. 1989, lange vor der ganzen Nobelpreis-Scheiße, hatte Peter Handke dem inzwischen leider verstorbenen, legendären André Müller ein großes Interview gegeben (s. Hauptlink unten). Es ist eines meiner Lieblingsinterviews und wurde von André Müller vermutlich, wie es damals dessen literarische Praxis war ("Verdichtung"!), komplett um- und zusammengeschrieben.
Die Stelle mit dem Altersheim kam ganz am Ende und ging so:
Wie werden Sie leben, wenn Sie ein alter, vielleicht gebrechlicher Mann sind?
HANDKE: Ich gründe mit Freunden ein Altersheim. Wir sind gerade dabei, einen Architekten zu suchen. Dort dürfen dann Maler und Schriftsteller und ein paar andere Deppen wohnen. Wir werden Karten spielen oder Schach und auf die Mädchen schauen, die auf der Straße vorbeigehen.
Ich mailte sie an die Freunde. Und las heute, wiederum in der ZEIT und damit der Kreis sich schließt, Maxim Billers Kolumne, "Über den Linden". Die neue Folge heisst "Amoklauf unter Freunden", handelt aber eher davon, sich gegenüber einem ausländischen Uberfahrer in Berlin wie ein ganz normales deutsches Fahrgast-Arschloch zu benehmen. Biller kommt zu spät zu einer Veranstaltung, in der es wieder mal um Identität und Recht-Haben geht. Erst auf dem Nachhauseweg mit einem anderen Uber kriegt Biller in seiner Kolumne so gerade eben noch die Kurve und kann sich wieder in andere reinversetzen, was ja nun mal unser Job im verdammten Literaturbusiness ist:
Ich guckte aus dem Autofenster raus - wir fuhren gerade am Hauptbahnhof vorbei, der von Dutzenden von Kränen und halb fertigen Bürohäusern umgeben war und wie eine durch den schwarzen Kosmos treibende, grell beleuchtete Weltraumstation aussah -, ich dachte, was für eine schöne, perfekte Fahrt nach Hause, und dann fiel mir noch mal der Streit mit dem Uber-Mann von vorhin ein. Wieso war ich so laut und unfreundlich zu ihm gewesen? Warum ignorierte ich, wie unglaublich fremd und verloren er sich in einer Stadt und in einem Land fühlen musste, durch das er Tag und Nacht dessen ungeduldige, anmaßende, gefühllose Bewohner fuhr? Und hatte er sich vielleicht für meine Ungeduld gerächt und mir meine eigene Bewertung als Fahrgast bei Uber kaputt gemacht?
Ja. Welcome home, 2020.
Quelle: André Müller Bild: privat zeit.de
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