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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Da ich gerade an einem Tennisroman über Schwaches Denken ("il pensiero debole") laboriere, stieß ich neulich nachts im Internet (Sie befinden sich gerade genau am richtigen Ort!) auf den mir bis dahin völlig unbekannten italienischen Philosophen Pier Aldo Rovatti. Rovatti, 1942 in Modena geboren, gilt gemeinsam mit seinem Kumpel Gianni Vattimo als Begründer des "Schwachen Denkens", wie sie den Sammelband betitelten, mit dem sie 1983 vor allem in den USA für Furore sorgten. "Rovattis Denken gilt seither den schwachen Seiten des Subjekts, insbesondere der Passivität und Alterität", wie es unschlagbar bei Wikipedia heißt.
Das Buch von Rovatti, das mich sofort am meisten reizte, war "Der Wahnsinn in wenigen Worten" (Verlag Turia + Kant Wien, Übersetzung René Scheu, Andreas Fagetti). Herausgeber ist der NZZ-Feuilletonchef René Scheu, der ab und zu als Gast durch die unfassbar schlechten philosophischen Stammtisch-Formate des Schweizer Fernsehens geistert (mit unfassbar schlecht meine ich, dass irgendwas an dem Format alle Teilnehmer so reden lässt, als wäre Sprechen im Fernsehen gerade erst erfunden worden) und der aber mit "Das schwache Subjekt" auch die erste "systematische" Gesamtdarstellung zu Rovattis Denken vorgelegt hat und ein ganz brauchbares Vorwort zum "Wahnsinn in wenigen Worten" geschrieben hat:
"Wahnsinn" ist ein klinischer Begriff, der eine seelische Erkrankung bezeichnet. Pier Aldo Rovatti ist indes nicht Psychiater, sondern Philosoph. Sein Zugang zum Wahnsinn ist nicht von der Frage nach seiner Behandelbarkeit geleitet: Er fragt nicht, wie man davon genesen kann. Doch betreibt er auch nicht "normale" Philosophie: Er fragt ebenso wenig, worin das Wesen des Wahnsinn besteht, weil jeder Definitionsversuch damit endet, den Wahnsinn auf eine Definition zu reduzieren. Rovatti will weniger und zugleich mehr: sich dem Wahnsinn annähern, "ohne ihn sogleich zum Verschwinden zu bringen", wie er selber sagt. (...)
Ein Buch über den Wahnsinn zu schreiben und es auf den sandigen Grund eines "Ich weiß nicht" zu bauen, scheint nun seinerseits ein wahnsinniges Unterfangen. Muss man vielleicht ein wenig wahnsinnig sein, um etwas vom Wahnsinn zu verstehen? Genau darum geht es in diesem Buch. "Ein Mensch, der sich für einen König hält, ist wahnsinnig, ein König, der sich für einen König hält, ist es nicht weniger", heißt es bei Jaques Lacan. Ein Mensch, der sich für einen Anderen hält, ist wahnsinnig; ein Mensch, der ausschließt, ein Anderer zu sein, ein Mensch also, der ausschließt, wahnsinnig zu sein, ist es nicht minder. Auch die Normalität ist eine Form des Wahnsinns.
Mit "Ich weiß nicht" spielt René Scheu auf das erste Kapitel dieses seinem Titel angemessen schmalen Büchleins an: "ICH WEISS NICHT" (die anderen Kapitel heißen noch besser: "RITTLINGS AUF DER MAUER", "DER WAHNSINN DES ANDEREN", "DER WAHNSINN DES LEIBES" und "DER WAHNSINN DES SPIELS"). In ihm erklärt er, wie er darauf kam:
Vor einigen Jahren wurde ich zu einem Fortbildungskurs für psychiatrische Pfleger in Triest eingeladen. Sie mussten von meinen Vorlesungen über Philosophie und Wahnsinn gehört haben. Ihre Einladung verblüffte mich. Ich fragte mich, was dabei wohl herauskäme. Es konnte jedenfalls nicht darum gehen, den Pflegern eine Vorlesung zu halten. Vor dem Kurs stellte ich den Pflegern eine ebenso einfache wie provokative Frage: "Was ist Wahnsinn?" Ich bat jeden Teilnehmer um eine schriftliche Antwort in wenigen Worten. Ich stellte mir ihre Verblüffung vor, aber dann trafen alle Antworten pünktlich bei mir ein. Sie haben etwas Bezeichnendes, und es lohnte sich, sie hier alle anzuführen. Eine hat mich besonders beeindruckt: "Ich vermag auf so wenig Raum nicht zu sagen, was Wahnsinn ist. Mir fallen nur zwei Antworten ein. Die erste lautet: Ich weiß es nicht. Und die zweite: Wahnsinn ist Anderssein beziehungsweise die Angst vor dem Anderssein."
Eigentlich handelt es sich dabei um drei Antworten, und sie sind in merkwürdiger Weise miteinander verknüpft. Wir könnten daraus aber auch nur eine Antwort herauslesen: Dieses Etwas, das ich nicht kenne und das der Wahnsinn ist, ist eins mit dem Anderssein; doch hat das Anderssein stets zwei Seiten, die einander entgegengesetzt sind. Als wäre im Wahnsinn stets ein Zweifaches (doppio) am Werk, das sich teilt (si doppia) und das uns teilt (ci sdoppia): das Anderssein und die "Angst" vor dem Anderssein. Man kann sich nicht für eine Seite entscheiden, und vielleicht ist es gut, sich gar nicht erst darauf einzulassen.
In einfachen, klaren Worten vom Ende der Eindeutigkeit (als Dualismus!) zu erzählen, ist die Kunst dieses Philosophen. Das Buch hat nur knapp 80 Seiten und kostet 10 Euro.
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