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Literatur

Lesezirkel: Wasser – Bis ans Ende der Meere

Quelle: Wikipedia "John Webber"

Lesezirkel: Wasser – Bis ans Ende der Meere

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDonnerstag, 26.11.2020
Weit, sehr weit sind wir schon gesegelt. Schlimmes Wetter fast den ganzen Dezember über. Der Pazifik ist nicht besser als der Atlantik. Es ist kalt und wird immer kälter, ich trage drei, vier Kleiderschichten übereinander. Neue Anfälle der Seekrankheit, nur kurze allerdings. Tagelang dichter Nebel, geisterhaft glitten wir dahin, erblindet in undurchdringlichem Grau, das Schatten von Vergangenem zu zeigen schien, vielleicht auch Künftiges, Tiergestalten, monströse Menschen, nein, es war kein Gleiten, es war ein Vorwärtssstolpern, ein Sich-Ducken am Wind. Feuchtigkeit und Nässe allenthalben, man glaubt, die Ärmel auswringen zu können.

Meine längste Schiffsreise war eine Fährpassage von Korčula nach Rijeka, die halbe Adria hoch. Mulmig wurde mir nur, wenn alle Inseln oder die Küste außer Sicht gerieten. Ich liebe das Meer, hab aber gern Land in Nähe. Umso schöner, dass unser Berliner Lesezirkel (ein loser Kreis von bis zu 15 Frauen im Mail-Verteiler, von denen sich seit dem Sommer 2014 fünf bis acht einmal im Monat treffen) sich dieses Jahr auf das Motto Wasser geeinigt hat.

6. Mai 1777. Auf Nomuka, genannt Rotterdam, eine der vielen Freundschaftsinseln. Seit einer Woche hier vor Anker, in 18 Faden tiefem Wasser. Captain Cook kannte die Lücke im Korallenriff, durch die wir in die Bucht gelangten. Was für eine Explosion von Farben und Gerüchen nach so langer Zeit auf hoher See! Unwahrscheinlich blau das Meer, schillernd zwischen Türkis, Lapislazuli, Indigo, blendend das Weiß des Sandstrandes, die weiße Leinwand ist dunkel dagegen. Weiter hinten die Silhouette eines Palmenhains und die Hütten der Eingeborenen. Der Anblick übertraf meine paradiesischste Vision! Die Männer wie von Sinnen, grenzenloser Jubel beim Ankern, noch nie wurde das Gangspill so schnell gedreht!

Wir kommen am letzten Donnerstag jeden Monats bei einer von uns zusammen. Dieses Jahr ist alles anders, schon im März und April und wieder seit Oktober trafen wir uns online, besprachen unter anderem Maja Lundes Geschichte des Wassers, Marlene Streeruwitz' Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland und die Haifischfrauen Kiana Davenports. Besonders aufregend war ein lauer Sommerabend auf einem Schleppkahn, der unter Weidenästen dümpelt und die perfekte Kulisse für Joseph Conrads Herz der Finsternis abgab.

Eine Haut wie Samt und Seide. Der Pinsel formt die Brüste, als wäre der Maler Gott am siebten Tag der Schöpfung. Das Hüfttuch muss er ihr lassen; wäre er ihr Mann, zöge er’s weg, um sie unverhüllt vor sich zu haben, mit der schlanken Hand über dem Schoß, und auch sie zöge er weg. Sie schaut ihn doppelt an, vom Bild und von der Wand, an die sie sich lehnt. Manchmal doch der leise Spott in ihren Augen, die Traurigkeit dann wieder. Wie soll er dies alles in ihrem Blick vereinigen?

Heute Abend treffen wir uns zu einem Wasser-Roman von Lukas Hartmann, den ich mit Räuberleben kennen und schätzen lernte. Die historischen Stoffe des Schweizer Autors sind genau recherchiert und lebensecht gestaltet, die Sprache auserlesen. Sein Buch Bis ans Ende der Meere (2009) erzählt das Leben John Webbers, des Expeditionsmalers auf James Cooks dritter Südseereise (1776–1780). Vier Jahre reiste der Schweizer Maler kreuz und quer über die Ozeane und hielt fest, was zu sehen (erlaubt) war. Mit einer Ansicht von Santa Cruz/Teneriffa, die ich über den Artikel gestellt habe, beginnt die Bebilderung der Reise, ihr Höhepunkt wird das Porträt Poetuas sein, Prinzessin der Insel Ulietea. John Webber malt sie – und Lukas Hartmann lässt ihn der Schönen verfallen. In seinem verschränkt gebauten Roman, der nach der Reise (und dem Tod Cooks) einsetzt und rückblickend die Etappen schildert, bildet die Südseeprinzessin den roten Faden. John Webber lebt im Haus seines Bruders Henry in London, überarbeitet seine Südseebilder für eine Publikation und stellt Kopien des Porträts Poetuas her, für reiche (Kunst-) Liebhaber.

Es ist ein mitreißendes Buch, eine Expeditions-Nacherzählung, ein Disput über den Eingriff der Engländer in die Lebenswelt der Insulaner (der Schiffsarzt streitet regelmäßig mit Käpt'n Cook darüber) und eine universelle Erzählung zugleich. Von Freundschaft und Liebe – vom Wert und den Grenzen der Kunst.

Webber steckte den Daumen durch die Palette, gab mit dem Pinsel ein wenig Öl zu den halb eingetrockneten Klecksen von Indischgelb, Sienabraun, Karminrot, er weichte die Farben auf, probierte neue Mischungen aus. Den Goldton der Haut, ihren matten Glanz wollte er beim zweiten Versuch noch besser wiedergeben. Aber es war unmöglich: Der Pinsel log, Abbild blieb Abbild. Sein Leben lang, das wusste er nun, würde er der Wirklichkeit nachtrauern und sie wiederzubeleben versuchen. Wie viel leichter war es doch für die Kupferstecher, seine ausgewählten Zeichnungen, die überarbeiteten Aquarelle in Platten zu ritzen! Wie viel leichter, wenn man nicht dabei gewesen war!

Henry stand plötzlich dicht hinter ihm.

»Schön ist sie«, sagte er leise. »Aber du hast eine andalusische Zigeunerin aus ihr gemacht.«

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Kommentare 2
  1. Andreas Schabert
    Andreas Schabert · vor fast 4 Jahre

    Sehr poetisch!
    Ich habe das Räuberbuch von ihm irgendwann weg gelegt, obwohl es thematisch sehr spannend ist, gerade für mich als Schwabe. Aber ich fand, genau wie deine Lesezirkel Freundinnen, die Sprache zu wenig lebendig, ja blutleer trifft es ganz gut.
    Großartig dagegen seine Kinderbücher. Die wilde Sophie war eines meiner absoluten LieblingsVorlesebücher!

  2. Anne Hahn
    Anne Hahn · vor 4 Jahren · bearbeitet vor fast 4 Jahre

    Beim Online-Lesezirkel übten einige von uns Kritik am "blutleeren" und "zu perfekten" Schreibstil Hartmanns, ich verteidigte meine andere Wahrnehmung - was online sehr schwierig ist. Danach stellte sich heraus, dass eine von uns schon mal von Kapstadt zur Antarktis gereist ist und zwei Monate auf See war! Sie bestätigte viele der geschilderten Seereisedetails und erzählte vom Reiz der Reise und der Einsamkeit unter Vielen, was mich vollends mit dem Buch und Abend versöhnte.

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