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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
featuring
Drake: More Life
Travi$ Scott VS James Blake (Sampler)
Roberto Bolaño: Die romantischen Hunde (Hanser)
Judith Hermann: Lettipark (Suhrkamp)
Jürgen Kaube spricht mit Karl-Heinz Bohrer (FAZ)
Aus Zeitgründen musste diese Folge auf einer roten Gymnastik-Matte geschrieben werden, wo ich letzten Sonnabend meine Übungen gegen die beiden wichtigsten Schreibkrankheiten Rücken- und Schulterschmerzen machte. Dazu hörte ich bewusst nicht die neue Drake (More Life), sondern einen ausgewogenen Sampler, halb James Blake, halb Travi$ Scott (das Album „Birds In The Trap Sing McKnight“ – sorry für den Lärm – hier im Niedriglohnsektor lief praktisch dauernd Musik, um sich wieder nach vorne zu peitschen).
Wenn ich zwischendurch schwächelte, erinnerte ich mich daran, wie gut ich gerade drauf war, weil Hanser tatsächlich noch mal einen neuen Bolaño rausgehauen hatte. Dass es sich bei „Die romantischen Hunde“ nur um Lyrik handelte, störte mich kein bisschen. Am besten war es, die Gedichte zwischen zwei Liegestützen laut zu lesen, zum Beispiel:
UNTER FLIEGEN
Trojanische Dichter
Von dem, was euer sein könnte, gibt es
Nichts mehr
Weder Tempel, Gärten
Noch Gedichte
Ihr seid frei
Großartige trojanische Dichter.
Das Tröstliche an den Gedichten war, dass der Chilene sich bis zu seinem Welterfolg mit „Die wilden Detektive“ und „2666“ zwanzig Jahre lang vor allem als Lyriker sah – und es absolut nicht drauf hatte. Wenn man jetzt diesen Gedichtband liest, merkt man, wie alles schon da ist, was seine Prosa später ausmachen wird: vereiste Detektive („im großen Kühlschrank von Los Angeles/ Im großen Kühlschrank von Mexiko DF“), träumende, verlorene Detektive (die nachts ganz ruhig zurück an den Tatort gehen), verirrte Detektive. Homosexualität und Poesie (für den Autor gewissermaßen dasselbe). Liebe, Nutten, Lateinamerika, Literatur. Oder die Liebe zu Nutten, Lateinamerika oder der Literatur. Reisen mit Autoren, Fremdsein unter Autoren, die man bewundert und verachtet, bis man einer von ihnen geworden ist.
Bolaño wurde 1953 in Chile geboren, verbrachte seine Jugend nach dem Sturz der Allende-Regierung in Mexico City, um dort mit Freunden den Infrarealismus zu gründen (oder auch „Viszeralrealismus“). Der bestand aus Bücherklauen, Vorlesungen arrivierter Autoren aufmischen und in den Tag hinein leben. Später zog er nach Spanien, um sich in der Nähe von Barcelona als Campingplatzwächter durchzuschlagen. Mit dem Romane-Schreiben begann er laut Eigenauskunft nur, weil mit den geliebten, nicht gekonnten Gedichten absolut nichts zu verdienen war, er aber dringend Geld brauchte. Was für ein Glück.
Weil ich wie jeder, der Bolaños fünfteiliges Mammutwerk „2666“ verschlungen hat, in dem es um einen rätselhaften deutschen Autor mit dem allerunwahrscheinlichsten Namen „Benno von Arcimboldi“ geht, den es irgendwann in die US-mexikanische Grenzstadt Santa Teresa verschlägt, die (real existierend als Ciudad Juarez) mit ihren Sweat Shops, Drogenkriegen und Hunderten von unaufgeklärten Frauenmorden für Bolaño der Inbegriff der Hölle auf Erden gewesen ist, und weil ich also wie jeder, der dieses Buch gelesen hat, das jeden Rahmen sprengt und vom Autor selbst nicht mehr beendet werden konnte (er starb 2003 an den Folgen einer nichterfolgten Lebertransplantation), in der Folge ALLES von Bolaño lesen mußte, hatte ich mir schon früh auch seine Gedichte auf englisch in Amerika besorgt, weil ich kein Spanisch kann.
„5 Poems by Roberto Bolaño“ aus New York also, die dann „When Lisa Told Me“ oder „The Memory of Lisa“ hießen und in der Paris Review von Liebeskummer in Telefonzellen, der Schwanzlänge des neuen Typen der Ex-Freundin und dem Ende der Welt zu Musik von Canned Heat handelten. Alright, wie Travi$ Scott singen würde.
Mir war sofort unklar, ob es wirklich Lyrik war, was Bolaño so am Herzen lag, und nicht eher ein lyrisches, also freieres und freiwilligeres Lesen wie Schreiben. Und dass es ihm eher um die Befreiung der Literatur vom „Gutgemachten“ ging, wenn „gutgemacht“ die prezios-prätentiöse Aussparung der Welt mit all ihrem Schmutz, Schmerz und Chaos bedeutet. Dass es ihm um den „Hass auf die Literatur aus der Literatur selbst heraus“ ging, wie ihn Julio Cortazar forderte (in dem Roman „Rayuela“).
Wenn ich jetzt die „Romantischen Hunde“ lese, muss ich außerdem an Judith Hermann denken. In einem langen Interview hat sie mir mal verraten, wie sehr sie Bolaño hasst. Während eines Stipendiums in Russland musste sie sich buchstäblich zwingen, „2666“ zu Ende zu lesen. Die Geschichte dieses Lektüre-Martyriums klang dann allerdings fast schon selber wieder wie ein Roman oder Gedicht von Bolaño. Und Jahre später, genauer 2016, schrieb Judith Hermann dann in ihrer Storysammlung „Lettipark“ (Fischer Verlag) tatsächlich so etwas wie eine Bolaño-Geschichte.
Die Geschichte heißt wirklich „Gedichte“ und dauert nur sieben Seiten: eine erwachsene Tochter besucht im Hochsommer zum letzten Mal ihren Vater, der nach langer Krankheit und Aufenthalten in der Psychatrie allein in einer zugemüllten Wohnung lebt. In der Psychatrie war er unter anderem, weil er keine Gedichte ertrug („es gab Tage, an denen ihm schon eine einzige Zeile zu viel war, an denen er schon die Zeile „die Möwen sehen alle aus, als wenn sie Emma hießen“ nicht ertragen konnte, eine Zeile wie „wir saßen unterm Hagedorn, bis uns die Nacht entrückt“ hätte ihn umgebracht“).
Und jetzt bringt die Tochter in Judith Hermmans Geschichte diesem Vater aus Judith Hermanns Geschichte Kuchen aus einer benachbarten Konditorei mit. Einer Konditorei, in der der Vater niemals einkaufen würde: „Das sind Schwule, Homosexuelle, das muss dir doch aufgefallen sein“, sagt der Vater. Nur ein Schwuler wäre in der Lage, „einen solchen, einen derartigen Pflaumenkuchen herzustellen, einen obszönen Aprikosenkuchen, wie er auf deinem Teller liegt, ein Aprikosenkuchen wie aus einem Bilderbuch, ausgedacht und zusammengerührt und gebacken von einer Schwuchtel.“ Der Vater isst das Stück Kuchen aus der Konditorei, in der er niemals was kaufen würde, an der er höchstens immer nur vorbeigeht und staunt, er isst dieses von der Tochter mitgebrachte Stück Kuchen dann trotzdem auf, sogar „gierig“ und sich irgendwie darüber freuend, dass seine Tochter bei diesem letzten Besuch noch wusste, dass er gern Pflaumenkuchen isst.
An diese hervorragende Geschichte muss ich denken, wenn ich jetzt laut „Die romantischen Hunde“ lese.
Dieser letzte von vier Einträgen mit der Überschrift March Madness sollte darüberhinaus eigentlich noch mit einem Bericht über ein Interview beendet werden, dass ich vor ein paar Wochen in der FAZ las und so gut fand, dass ich es ausgeschnitten und dann verbummelt hab. Jürgen Kaube interviewte darin Karl-Heinz Bohrer zu dessen FAZ-Vergangenheit und seinem aktuellen Buch „Jetzt“ (Suhrkamp). Es war ein wunderbares Gespräch, in dem klar wurde, warum Bohrer damals als Literaturchef der FAZ auf Geheiß von Joachim Fest gegen Marcel Reich-Ranicki ausgetauscht wurde. Bohrer hatte den viel moderneren, offeneren Literaturgeschmack, voller Hunger nach Erlebnis und Geschichte. Reich-Ranicki mochte vor allem Thomas Mann und konnte wahnsinnig gut vereinfachen und popularisieren. Was mich an diesem Gespräch aber am meisten faszinierte, war die Dringlichkeit und Gegenwärtigkeit, mit der Bohrer über längst vergangene und vergessene Feuilleton-Größen beziehungsweise Feuilleton-Vorgänge sprach. Als würde es immer noch eine Rolle spielen, wie ihn damals seine undogmatische Lebens-Neugierde und Erlebnis-Erwartungs-Hoffnung ausgerechnet eben nicht ins Leben und zu den Leuten trieb, sondern in die Theorie und Abstraktion.
Und ich denke, das spielt immer noch eine Rolle. Und der Weg zurück zu Bolaño ist kurz und schön.
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