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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Frische Bücher“ - Drehtür

Mein kleiner Buchladen: „Frische Bücher“ - Drehtür

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMontag, 17.10.2016

Katja Lange-Müller ist für kurze Texte mit verstörendem Inhalt bekannt. Die Berlinerin, fünf Jahre vor dem Mauerfall von der einen auf die andere Seite gewechselt, kennt die Stadt wie ihre Hosentasche. Mich erwischte sie mit ihrem Roman „Böse Schafe“, der wie kaum ein anderer das Westberlin der späten Achtziger reflektiert, die Junkies und Großmäuligen, die Heimwehkranken und Ausgestoßenen. Denn die DDR schimmert immer durch in den knappen, harten Bildern Lange-Müllers. Bei mancher S-Bahnfahrt in nächtlich einsamen Stunden, sehe ich seitdem ihre Heldin auf Bahnsteigen stehen, mit Sex-nassem Schritt, wehem Herzen und trunken.

„Drehtür“ also, nach knapp zehn Jahren der nächste Roman. Auf 216 Seiten schafft Katja Lange-Müller einen langen Moment des Innehaltens, einen Plot wie ein Drehbuch. Die in die Jahre gekommene Krankenschwester Asta Arnold landet am Münchener Flughafen und steht an einer Drehtür desselben, unablässig rauchend. Nicht wissend, wie weiter. Geschichten fluten durch ihren Kopf, Wörter. Blitzkrieg, Knastgreise, Platzregen. „Kettenglied, denkt Asta, noch so ein zwielichtiges Wortgebilde.“ Und los geht der Film, Asta sieht einen asiatischen Koch in der Küche eines Flughafenrestaurants und denkt an Carmen, die 1976 einen Asiaten von der Ostberliner Straße auflas. Ab- und mitschleppte, mit Korn und Pantomime unterhielt. Am nächsten Tag war der Mann weg, aber eine Delegation der Nordkoreanischen Botschaft tauchte auf und bedankte sich bei der jungen Krankenschwester für die Rettung ihres Genossen.

Und so fort. Mit ihrem wunderbaren Humor gelingt es Katja Lange-Müller wieder einmal, die Abgründe der menschlichen Natur mit einem Schmunzeln zu versehen. Ihre Geschichten, die Asta selbst oder ihr nahestehenden Menschen passieren, sind niemals banal oder alltäglich. Da ist die Meuselwitzer Großmutter, die einmal im Jahr ihren Schoß für die Katze hergibt, welche nur darin liegend ihre Jungen gebären mag. Oder die junge Autorin, die mit einer Erzählung über indische Näherinnen in eine skurrile Buchmessetalkrunde gerät. Bitter wird es wenig später, als sie tatsächlich nach Indien reist und weinend vor verstümmelten Frauen sitzt.

„Als wir eintraten, winkten uns verkrüppelte und fingerlose Hände. Einige der Frauen hatten keine Nase mehr, andere ein Auge eingebüßt oder ein Ohr – oder von beidem beides. Bei anderen wieder waren die Lippen wulstig verformt, und manchen fehlten sie – und die Zähne auch, sodass ihnen der Mund permanent offen stand wie ein Loch.“

Die vielleicht dreihundert Frauen, denen Katja Lange-Müllers Figur hier fassungs- und wehrlos gegenübertritt, sind Opfer von Anschlägen mit Kochbenzin, meist ausgeübt von Schwiegermüttern, die auf eine neue (mit Geld ausgestattete) Schwiegertochter hoffen.

Asta erinnert sich detailliert an die Geschichten anderer, nur ihre eigene entgleitet – auch ihre Fehler, die letztendlich zur Abmahnung und Heimschickung aus Managua führten. One-Way-Ticket. Was bleibt von einem lebenslangen Bemühen, anderen zu helfen? Vielleicht nicht ohne Grund ist eine der Nebengeschichten die des Malers Georg Golz, der „einzigen wahren, jedoch nie erwiderten Liebe“ Astas, in welcher dem just in Westberlin angekommenen und seine große erste Ausstellung gefeiert habenden, alle Bilder gestohlen werden. Alle. Das Werk, das Leben, futsch.

Katja Lange-Müller kann kein Happy-End schreiben. Ich las die Geschichten um die paffende alte Krankenschwester wie in einem Sog. 

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