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Anne Hahn, in Magdeburg geboren, lebt seit 1990 in Berlin. Studium der Kunstgeschichte/Geschichte in Berlin und Florenz. Seit 1999 Porträts, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Medien. Buchveröffentlichungen u.a.: "Satan, kannst du mir nochmal verzeihn - Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest" (mit Frank Willmann) Ventil Verlag 2008, "Pogo im Bratwurstland: Punk in Thüringen" LzfpB, 2009, „DreiTagebuch“ Roman, „Gegenüber von China“ Roman, beide Ventil Verlag, 2014, "Das Herz des Aals", Roman, Ventil Verlag 2017, "Mitten drin - Fußballfans in Deutschland" BfpB, 2018, "Vereint im Stolz - Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum", BfpB 2021
Bei der Wahrheit Gottes, ich bin unmenschlich gewesen. Ich habe nicht auf meinen Freund gehört, ich habe auf den Feind gehört. Wenn ich den Feind von drüben also zu fassen bekomme, wenn ich in den blauen Augen die Schreie sehe, die sein Mund nicht hinauf in den Kriegshimmel schicken kann, wenn sein offener Bauch ein einziger Fleischbrei ist, dann hole ich die verlorene Zeit auf und beende das Leiden des Feinds. Wenn seine Augen zum zweiten Mal flehen, schneide ich ihm wie Opferschafen die Kehle durch… Dann nehme ich sein Gewehr, nachdem ich die rechte Hand mit der Machete abgetrennt habe.
Der 1966 geborene franko-senegalesische Autor und Literaturwissenschaftler David Diop widmet seinen zweiten Roman Nachts ist unser Blut schwarz den Schokosoldaten, wie die Senegalesen genannt wurden, welche im Ersten Weltkrieg an der Seite der Franzosen gegen die Deutschen kämpften. Ich habe den 160 schmale Seiten umfassenden Roman in einem Rutsch gelesen und war zunächst begeistert. Zunächst, weil mich das Nachdenken, nachschwingen lassen, verwirrte.
Fast 200 000 Soldaten rekrutierte Frankreich ab 1914 aus seinen Kolonien und warf sie als Kanonenfutter in einen Krieg, der nicht ihrer war (Filmaufnahmen der Schokosoldaten sind in diesem Beitrag zu sehen). Inspiriert von überlieferten Feldpost-Briefen französischer Soldaten imaginierte der Autor Schicksale senegalesischer Kämpfer - von ihnen sind keine Briefe erhalten. Es ist ein Klagegesang, verdichtet in einer Figur. Das Lied eines jungen Soldaten, der seinen Freund und Bruder nicht erlöste und deshalb mordet und verstümmelt. Im Krieg nichts Ungewöhnliches; dennoch verstört das Abtrennen der Hände seiner Feinde, das rituell anmutende Schlachten und anschließende Bergen einer Trophäe. Und hier beginnt meine Verwirrung. David Diop spielt mit der Schablone des mit Macheten ausgerüsteten wilden Schwarzen. (Fiktion könne uns helfen, sich vorzustellen, was diese Menschen empfunden haben müssen, sagt er im Arte-Porträt.)
Dieses Jahr habe ich zwei wunderbare afrikanische Bücher entdecken dürfen, die sich mit ähnlichen Themen auseinandersetzen: den Antikriegs-Roman Sozaboy von Ken Saro-Wiwa und mit Zeit der Nordwanderung von Tajjib Salich die Initiationsreise eines Sudanesen in den Norden (symbolisch für den Westen, hier konkret: England). Beide Romane zeichnen ihre Helden als kriegerisch, Sex-dominiert und "wild"; während der einfältige Sozaboy bald lernt, den Krieg zu fürchten und ihn flieht, steigert sich der namenlose Held Tajjib Salichs in Gewaltszenerien, die zum Tod junger Frauen führen. Mir scheint, dass David Diob stilistisch sowohl die schlichte Litanei des Sozaboys in seinen Klagegesang gewebt hat als auch die mir zu deftig aufgetragene Lust an der Gewalt (bei Salich auf den schwarzen Intellektuellen projiziert).
Wozu braucht es 100 Jahre nach den Geschehnissen einen Roman (es ist der erste und mehrfach preisgekrönte zum Thema der französischen Kolonialsoldaten) über dieses Randgebiet eines kriegsgebeutelten Jahrhunderts? Vielleicht deshalb - weil er polarisiert, zur Auseinandersetzung zwingt.
Für alle, schwarze und weiße Soldaten, wurde ich der Tod. Ich weiß, ich habe es verstanden. Egal, ob sie Toubabs sind oder Schokosoldaten wie ich, die Soldaten glauben, dass ich ein Hexer bin, einer, der das Innere der Menschen frisst, ein dëmm. Dass ich es schon immer war, und der Krieg es jetzt offenbart hat…
Nachts ist unser Blut schwarz (Originaltitel: Frère d'âme/ Bruder der Seele) sei eindeutig ein Antikriegsroman, sagt die Rezensentin Dina Netz im WDR, trotzdem lese man mit einem gewissen Unwohlsein, "dass der Protagonist bei seinem nachvollziehbaren Wunsch nach Rache genau die Klischees bedient, gegen die Diop ja eigentlich anschreibt." Literarisch sei der Roman jedoch reizvoll, meint Dina Netz weiter, als Monolog verfasst verweise der Text in wiederholten Schleifen melodiös und sehr oral auf die mündliche Tradition der afrikanischen Literatur. Eine Stimme, wie wir sie selten zu lesen und hören bekommen, schließt die Kritik und hier widerspreche ich. In Nachts ist unser Blut schwarz ist die afrikanische Erzähltradition (zu den oben genannten: Wilma Stockenström Denn der siebte Sinn ist der Schlaf) gekonnt verschmolzen mit europäischer Kriegs-Beschreibung, von Ernst Jünger bis Serjhij Zhadan. Es hätte nicht der abgeschnittenen Hände bedurft, um die unmenschliche Bedrängnis eines jungen Menschen zu schildern.
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