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Anne Hahn, in Magdeburg geboren, lebt seit 1990 in Berlin. Studium der Kunstgeschichte/Geschichte in Berlin und Florenz. Seit 1999 Porträts, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Medien. Buchveröffentlichungen u.a.: "Satan, kannst du mir nochmal verzeihn - Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest" (mit Frank Willmann) Ventil Verlag 2008, "Pogo im Bratwurstland: Punk in Thüringen" LzfpB, 2009, „DreiTagebuch“ Roman, „Gegenüber von China“ Roman, beide Ventil Verlag, 2014, "Das Herz des Aals", Roman, Ventil Verlag 2017, "Mitten drin - Fußballfans in Deutschland" BfpB, 2018, "Vereint im Stolz - Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum", BfpB 2021
Seit kurzem lebt eine drei Monate alte Britisch-Kurzhaar-Karthäuser Katze bei uns. Nach wenigen Tagen hatte sie sich eingewöhnt und wir uns verliebt. Aber macht man alles richtig bei so einem kleinen Wesen? Ich begann, in meinem Laden nach Ratgebern zu forschen und fand ein Heftchen der Falkenbücherei, „Das Neue Katzenbuch – Aufzucht und Pflege der Hauskatze“, von Maria Gräfin von Maltzan, 1952 veröffentlicht. Mit dem Kätzchen auf dem Schoß blätterte ich durch das nur 70 Seiten schmale, mit Zeichnungen, schwarz-weiß Fotografien und Tabellen angereicherte Büchlein. Die Abbildungen von Katzenmumien und Göttinnen des alten Ägyptens faszinierten mich. Zur Britisch-Kurzhaar-Katze führt die Autorin aus:
„Sie sind ausgesprochene Katzen und deswegen sehr beliebt. Von ihrer Existenz weiß man schon seit dem Mittelalter. Schon damals waren sie domestiziert und ihr Wert war sehr hoch… Dieses Tier ist äußerst aktiv und wirkt durch seine Proportionen kräftig. Berühmt ist es durch seine hohe Intelligenz.“
Hocherfreut schaue ich auf mein Exemplar, welches in den Kastanienbaum vorm Fenster blinzelt und schnurrt. Auf den letzten Seiten des Aufzucht-Ratgebers findet sich eine Kulturgeschichte der Katze, die von den Babyloniern ausgeht und bis zu Edgar Allen Poe reicht. Von Maltzan erzählt von der Katze als Freiheitssymbol bei den Römern und von den irischen Mönchen, ihren stark realistischen Katzendarstellungen im „Book of Kells“ aus dem 9. Jahrhundert. Die Katze darf als Begleiterin von Heiligen wirken und der Prophet Mohammed hatte sich lieber den Ärmel seines Gewandes abgebtrennt, als seine darauf schlafende Katze zu stören. Nach altem germanischen Kult, schreibt Maltzan, wurde die Göttin Freya in ihrem Streitwagen von zwei nordischen Wildkatzen gezogen – in Anlehnung daran trafen sich im Mittelalter Frauen in Höhlen und opferten junge Kätzchen, bei Gustav Meyrink in „Der Engel vom westlichen Fenster“ im Abschnitt des Katzensabbats beschrieben (den Roman habe ich im Laden, muss ich schleunigst nachlesen). Der Freyakult breitete sich von Deutschland nach Frankreich aus und Papst Innozenz VIII. erließ 1484 ein scharfes Gesetz gegen alle Anhänger der Göttin Freya.
„Der Besitz einer Katze genügte schon, um den Frauen den Prozeß zu machen, und Tausende von ihnen, in Deutschland 10% aller Frauen, junge wie alte, wurden hingerichtet. Millionen von Katzen wurden in diesen Jahren entweder erschlagen oder in siedendem Öl verbrannt.“
Dass die Hexenprozesse auch Katzen galten, war mir nicht bewusst. Noch mehr erstaunt mich die Geschichte der Autorin selbst – Maria Gräfin von Maltzan führte in den 80er Jahren eine Kleintierpraxis am Oranienplatz in Berlin Kreuzberg und behandelte die Tiere von Punks kostenlos, jetzt liegt dem Bezirk ein Antrag vor, den „Bullenwinkel“ genannten Platz am westlichen Ende der Naunynstraße nach ihr zu benennen. Die Idee zur Platzbenennung stammt von Wolfgang Müller (Band „Die tödliche Doris“), der im Februar 2018 dazu meinte:
„Immerhin scheint mein eingangs eingebrachter Vorschlag zu wirken. In den 1980ern sah ich Maria von Maltzan manchmal in der Kreuzberger O-Bar. Dort saß sie mit ihrer Assistentin, einer grünhaarigen Punkerin aus ihrer Tierarztpraxis und paffte an einer Zigarre. Es könnte also tatsächlich sein, dass hier in Zukunft eine Straße, ein Platz ihren Namen trägt.“
Das Leben dieser Frau liest sich wie eine Romanvorlage. Die 1909 in Schlesien geborene Maltzan studierte in München Zoologie, Botanik und Anthropologie, fand jedoch aufgrund erster Aktivitäten im NS-Widerstand keine Anstellung. Sie bewegte sich in Bohème-Kreisen, rauchte Pfeife und Zigarre, hatte zahlreiche Affären und schlug sich als Übersetzerin, Journalistin und Lektorin, als Pferdepflegerin und Stuntfrau bei der Bavaria Film durch. Wieder in Berlin, schloss sie 1943 ein Veterinärmedizinstudium ab, arbeitete anschließend beim Deutschen Roten Kreuz und beim Tierschutzverein. In Berlin unterhielt sie Kontakte zum Widerstand, versteckte Juden (u.a. ihren Geliebten Hans Hirschel) in ihrer Wohnung und besorgte in Zusammenarbeit mit der schwedischen Kirche falsche Pässe. Sie arbeitete bei der „Aktion Schwedenmöbel“ mit und rettete so etwa 60 politisch oder rassisch verfolgten Menschen das Leben. Nach dem zweiten Weltkrieg durchlief sie wegen ihrer Medikamentenabhängigkeit mehrere Entziehungskuren, unternahm einen Suizidversuch, arbeitete als Zirkustierärztin, nach zwischenzeitlichem Verlust ihrer Zulassung auch als Putzfrau, Packerin und Nachtwache. Später verdingte sie sich als Urlaubsvertretung in westdeutschen Großtierpraxen, bis sie schließlich (mit Mitte 60) eine Praxis in Berlin Kreuzberg eröffnete und sich wieder Tieren und gesellschaftlich Ausgegrenzten widmete. Sie starb verarmt 1997 in Berlin, hinterließ neben der Katzen-Aufzucht-Broschüre die Autobiografie „Schlag die Trommel und fürchte dich nicht.“
Ein weiteres Katzenbuch, welches mir ein Freund jüngst aus Leipzig mitbrachte, ist die wunderbare Sammlung der Zoogeschichten von Carl-Christian Elze. Der Autor ist ein Sohn des langjährigen (von 1957 - Anfang der 90er Jahre) Tierarztes im Leipziger Zoo, Professor Karl Elze. Mit Humor und großer Leidenschaft für die Tiere beschreibt der Literat und Dichter seine Kindheit im Leipziger Zoo, flankiert von den schwarz-weiß Aufnahmen aller Familienmitglieder – vorwiegend mit den Großkatzen verschiedener Jahrzehnte in den Armen. Oda, die titelgebende und auf dem Cover abgebildete Löwin war die Lieblingslöwin des Vaters, sie schenkte in 13 Würfen 45 Löwenkindern das Leben und war stets als "Superamme" im Einsatz, sogar für Tigerbabys. Heute befindet sich Oda als großes, sandfarbenes, ganz eigen riechendes Fell in der Wohnung des Autors - als einziges verbliebenes Fell einer ganzen Fellhöhle, wie er die Wohnung seiner Kindheit beschreibt. Carl-Christian Elze:
"An dieser Stelle fällt mir ein, dass ich als Zehnjähriger meinen Vater einmal in meine Pläne einweihte, was ich mit ihm machen wolle, wenn er tot sei. Ich sagte ihm, dass ich ihn ausstopfen lassen würde, um ihn in der Wohnung aufzustellen. Es war eine Art Liebeserklärung und er verstand es sofort und lächelte. Dann wurden wir praktisch: Er fragte mich, wo genau ich ihn aufstellen würde, und ich überlegte eine Weile, weil ich noch nicht genügend darüber nachgedacht hatte. Schließlich kam meine Antwort: Im Flur - damit ich ihn beim Hereinkommen immer gleich sehen könne. Diese Antwort machte ihn zufrieden und glücklich, das war zu erkennen."
Natürlich geht es im 170 Seiten umfassenden Buch nicht nur um Großkatzen, aber wir kommen immer wieder auf sie zurück. Wenn über den "Musth" eines Elefanten berichtet wurde oder über die spektakulären Kotabgänge der Flusspferde, erzählt Elze von der "Leipziger Löwenfabrik", sehen wir die berühmte Löwen-Dompteuse Claire Heliot oder den kleinen Karl Elze mit einem Kätzchen auf dem elterlichen Bauernhof. Kritik an Zootierhaltung sowie die Einordnung (der Weltanschauung) des vorliegenden Bandes unternimmt der Ex-taz-Redakteur und Tierfreund Helmut Höge im Nachwort.
Seinen Vater ließ Carl-Christian Elze nach dessen Tod nicht ausstopfen, sondern legte "anstelle von ihm das Fell von Oda in den Flur meiner neuen Wohnung. - Es dauerte nicht lange, und ich hatte das Gefühl, dass sich jemand freute."
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Ich würde den Roman über Maria Gräfin von Maltzan zu gerne lesen
Ich seh dich vor mir in deinem Streitwagen ...