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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Ich habe im letzten Jahr wieder viele schöne Wörter gelernt, z.B. "Quetzalcoatlus", das ist ein Flugsaurier aus Nordamerika, der ausgestorben ist, es gibt ihn aber noch als Schleich-Tier, wobei mir der Brachiosaurus von Schleich lieber ist, weil man sich mit seinem langen Hals so gut den Rücken kratzen kann, genau an der "Acnestis". "Acnestis" ist Griechisch und bezeichnet die Stelle zwischen den Schulterblättern, an die die meisten Vierfüßler nicht heranreichen, um sich dort zu kratzen. Ohne die Griechen hätten wir für diese Stelle kein Wort! (Sicher haben sie auch eins für die Fussel, die sich immer im Bauchnabel bilden, ich muß demnächst mal einen Griechen fragen.) Wahrscheinlich hat uns die Natur mit einer Acnestis ausgestattet, weil wir dadurch gezwungen sind, uns einen Partner zu suchen, der uns dort kratzt, sonst würden wir womöglich ein Dasein als Einsiedler führen und uns nicht vermehren.
Wenn man sich vermehrt hat, braucht man einen antibakteriellen Mundpflege-Fingerling mit Silber-Natriumhydrogen-Zirconium-Phosphat im Faser-Polymer, ein weiteres Wort, das ich im letzten Jahr gelernt habe. Man benutzt den Fingerling, um Babys die ersten Zähne zu putzen, aber auch schon, bevor sie Zähne haben, soll man ihnen das Zahnfleisch vorsichtig damit massieren. Ob sie davon auch früher sprechen lernen? Noch viele andere Wörter hat mir das Jahr geschenkt, was ein "Milanaise-Armband" ist, habe ich bei "Bares für Rares" gelernt, aber für so etwas wird mein Geld fürs erste nicht mehr reichen, man muß sich entscheiden, Kinder oder Milanaise-Armbänder. "Bares für Rares" verdanke ich auch die Wörter "Schnürnecessaire", "Tremolierstrich", "toi-et-moi-Ring" und "Rattenschwanzkette". Die Sendung, die lange unsere Lieblingssendung war, ist eine Fundgrube für neue Wörter, trotzdem gucken wir inzwischen sogar noch lieber die "Küchenschlacht", die Vokabeln, die man dort lernt, sind noch einmal ganz andere ("sous-vide-Garen", "Gremolata", "Plattieren").
Ich freue mich immer, neue Wörter kennenzulernen, denn Wörter kann man einfach benutzen, ohne dafür zu bezahlen, dasselbe Wort kann sogar gleichzeitig von vielen Menschen benutzt werden, im Grunde von allen, die es gibt. Man kann das im Fußballstadion erleben, wenn alle Zuschauer gleichzeitig "Schieber!" rufen (wobei sie damit meistens nicht die Einwechslung des gleichnamigen Spielers fordern), das geht problemlos, anders als wenn alle gleichzeitig dieselbe Bratwurst zu essen versuchen, das würde nicht ohne Gerangel abgehen. Es gibt aber nicht nur Wörter, die alle gleichzeitig benutzen können, sondern auch Wörter, die alle gleichzeitig nicht benutzen sollten, das sind Unwörter.
Horst Lichter hält sich bei "Bares für Rares" nicht daran, denn er sagt gerne "ein Träumchen", worauf wir jedes Mal kurz ganz tief durchatmen müssen. Genauso geht es uns bei der "Küchenschlacht", wenn in Bezug auf ein Risotto der Begriff "schlotzig" fällt. Für meine Tochter sind es Begriffe wie "erläutere" und "begründe" in Testaufgaben. Für meine Feundin ist es "Menschenskinder!", dieses Wort darf mir nicht über die Lippen kommen, auch wenn der Reißverschluß vom Schneeanzug wieder klemmt, sonst beschwert sie sich, ich würde vor den Kindern fluchen. "Menschenskinder" ist für sie ein Unwort. Ich darf es bei uns nur im Wäscheschrank benutzen, wenn ich die Tür von innen schließe und mir hinterher den Mund mit Seife auswasche. Meine Freundin mag es auch nicht, wenn ich "naschen" sage, oder "leckerschmecker", dann bekommt sie innerlich eine Gänsehaut und ich muß schnell ein paar Verse von Rilke rezitieren, damit sich ihre Ohren erholen. Ich mag diese Wörter eigentlich auch nicht, und würde nie darauf kommen, sie zu benutzen, wenn sie sich nicht so schön darüber ärgern würde. Ich für meinen Teil finde es schrecklich, wenn jemand mein freundliches "Vielen Dank" mit "gerne" beantwortet statt mit "gern geschehen". "Danke für die Auskunft." "Gerne." "Bitte ein Mümmelbrötchen und einen Zimt-Wuppi." "Gerne." "Nein, ich habe keine Zeit für eine Telefonumfrage." "Gerne." Oder wenn jemand eine Mail an mehrere Adressaten mit den Worten "Ihr Lieben" beginnt, dann kann ich nicht mehr weiterlesen. (Wobei ich auch nicht weiß, was man statt dessen schreiben sollte? Vielleicht lieber an jeden einzeln schreiben?)
Leider sprechen sich Unwörter ungeheuer schnell rum, sie sind penetrant wie der Ditsch-Geruch im Kaufhaus (verkohlte Schinkenwürfel auf kalt gewordenem Billigkäse), kaum habe ich eines zum ersten Mal gehört, kann ich mich schon nicht mehr davor retten ("zielführend", "zeitnah", "gefühlt + irgendwas", "definitiv", "Geld in die Hand nehmen", "das ist nicht so meins", ein "Pott" Kaffee). Manchmal ist es auch gar kein Unwort, das mich stört, sondern eine Betonung, sozusagen eine Unbetonung. Meine Unbetonung des Jahres ist die Art, wie Kassiererinnen seit noch nicht so langer Zeit "Hallo" sagen, nämlich nicht mehr auf der ersten Silbe betont "Hallo", sondern, sondern indem sie beim "Ha" den Ton heben "Ha-llo". Ich hoffe immer, daß niemand von unseren ausländischen Gästen, die gerade Deutsch lernen, das mithören und denken, daß man so sprechen darf.
Ein Ding kann ein Unding sein, eine Tat eine Untat, ein Mensch ein Unmensch, ein Wetter ein Unwetter, ein Tier ein Untier, ein Fug kann leicht zum Unfug werden, manches Ungeheuer wäre lieber ein Geheuer, ich bin lieber unverfroren als verfroren und ziehe Tote Untoten vor, ich drücke mich lieber verblümt als unverblümt aus und mag Wörter mehr als Unwörter, das gebe ich zu, unumwunden und umwunden. Es gibt so viele schöne Wörter z.B. "Aperçu" oder "Knalleffekt", oder "Kontermutter", "gelbbindige Furchenbiene" (Wildbiene des Jahres), "schwarzer Schnurfüßer" (Höhlentier des Jahres) und "Klebsormidium" (Alge des Jahres), da kann man auf die Unwörter doch leicht verzichten und es bleiben immer noch genug.
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Lieber Herr Schmidt, ich erfreue mich immer sehr an allen Wörtern und Unwörtern in Ihren Texten.
Vielen Dank!
Dass Nadir das Gegenteil von Zenit beschreibt habe ich dieses Jahr gelernt und auch sonst bin ich sehr dankbar für diesen Text.