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Literatur

World War Z.

Quelle: Bill Murray als Zombie in "Zombieland"

World War Z.

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtDonnerstag, 13.02.2020

Manchmal fällt es schwer, die Nachrichten nicht nach Erzählmustern zu beurteilen, die wir aus unserer kulturellen Produktion kennen. Vielleicht haben diese ja auch schon mehr oder weniger bewußt die Produktion der Nachrichten geprägt? Wenn man sich an das hält, was man aus Zombie-Filmen kennt, wird in wenigen Wochen praktisch die ganze Welt mit dem Corona-Virus infiziert sein, der natürlich viel gefährlicher ist, als bisher zugegeben wurde. In China sind jetzt schon ganze Städte abgeriegelt, niemand glaubt die von dort gemeldeten Zahlen von Infizierten und Gestorbenen, Nachrichtenbilder zeigen Ärzte in Vollvermummung, im Internet kursieren Filme, die zeigen, wie Infizierte in ihren Wohnungen eingesperrt werden, in Kasachstan kommt es zu Massenschlägereien, deren Grund vielleicht Angst vor Chinesen sein könnte, auf den Landkarten ploppen immer mehr Länder mit den ersten Fällen auf, Kreuzfahrtschiffe werden unter Quarantäne gestellt und finden keinen Hafen mehr, die Olympischen Spiele in Tokio sind gefährdet, womöglich werden irgendwann sogar Fußballspiele abgesagt. Haben wir eigentlich gerade einen Kosmonauten im All? Der kann sich schonmal überlegen, wie er wieder zurückkommen will.

Vor ein paar Jahren habe ich "World War Z." gelesen (auf deutsch trägt das Buch den albernen Titel: "Wer früher stirbt, ist länger tot. Operation Zombie"), geschrieben von Max Brooks, einem Sohn von Mel Brooks. Die Verfilmung mit Brad Pitt habe ich nicht gesehen, weil der Plot so klang, als hätte man die geniale Struktur des Buchs verraten, indem man einen Haupthelden eingeführt hat, den es im Buch nicht gibt. Max Brooks, der bereits einen Zombie Survival Guide geschrieben hatte (der Untertitel verspricht "Complete protection from the living dead"), hat sich in seinem ersten Roman wieder eine Textgattung zum Vorbild genommen, denn das Buch lebt davon, daß es ein fiktiver Oral-History-Bericht nach der großen, weltweiten Zombie-Katastrophe ist, im Stil von Studs Terkels "The Good War" (zum Titel gehören die Anführungsstriche). Terkels Buch (hier ein Trailer, in dem der Autor spricht) ist eine großartige Sammlung von Interviews mit Menschen, die den Zweiten Weltkrieg in irgendeiner Funktion und an irgendeinem Ort erlebt haben. Mit jeder Stimme kommt eine neue Perspektive dazu, und ständig liest man Details, von denen ich zumindest auch nach 100 Stunden Guido Knopp noch nie etwas gehört hatte. (Ein paar Beispiele: Jemand erzählt, die Russen liefen mit Pferden die Straße auf und ab, damit deren Kreislauf in Schwung kommt, und man sie töten und essen kann. Jemand erzählt von einer regnerischen Nacht im Pazifik, einem Japaner war die Schädeldecke weggeschossen worden, der Tote fiel nicht um, er blieb sitzen. "Wir saßen auf unseren Helmen und warteten auf die Ablösung. Ein Kumpel von mir schnippte Korallenstückchen in die Schädeldecke. Immer wenn er sein Ziel traf, spritzte es." Jemand erzählt, man habe ihnen erzählt, daß alle Japaner Brillenträger seien und ihr Angriffsziel gar nicht richtig sehen könnten. Jemand erzählt, in England habe die Landbevölkerung von der Regierung Stahltische als Unterstände bekommen, die dann im Schlafzimmer standen. Jemand erzählt, nach Pearl Harbour hätten sie an der Meldestelle mehrmals um den Häuserblock Schlange gestanden. Einer war zu klein und blieb vier Tage im Bett, um noch ein paar Zentimeter rauszuschinden. Die Mutter fuhr ihn hin, er lag die ganze Strecke auf dem Rücksitz, um nicht wieder zu schrumpfen. Jemand erzählt, daß er in Paris einmal einem Henker begegnet sei: "Er war Sergeant. Ein Amerikaner. Er war ein Profi und in Texas stationiert. Er hatte seinen eigenen Strick mitgebracht." Jemand erzählt, bei den Amerikanern herrschte bis weit in den Krieg hinein auch beim Blutplasma strikte Trennung zwischen Schwarzen und Weißen.)

Max Brooks bezieht sich ausdrücklich auf Studs Terkel und erwähnt ihn auch in den Danksagungen zu seinem Roman. Aber anders als bei Terkel sind seine Interviews natürlich fiktiv. Umso beeindruckender ist die Detailliertheit und Vielstimmigkeit, mit der er erzählt, und wie er mit einer Art analytischen Phantasie die Konsequenz der Tatsache durchdenkt, daß sich als größte Gefahr für die Menschen die Menschen selbst herausstellen, indem sie zu Zombies werden und durch ihre schiere Masse kaum bekämpft werden können. Der Blick wandert über den gesamten Erdball, von Land zu Land kommen Akteure zu Wort, in ihren Spezialfunktionen als Soldaten, Wissenschaftler, U-Boot-Kommandeure, etc. Jedes Land reagiert spezifisch auf die Katastrophe, die ihren Ausgangspunkt in irgendeinem Dorf in China (!) hatte. (Ein Verbreitungsweg waren illegale Organspenden, die zu mysteriösen Fällen von Infizierung auf der ganzen Welt geführt haben.)

Israel riegelt das Land bei den ersten Anzeichen einer Bedrohung ab, man hat ja eine hohe Mauer. Ein Israelische Gesprächspartner sagt: "Ich wurde eben in eine Gruppe von Leuten geboren, die in konstanter Angst vor der Auslöschung leben. Das ist Teil unserer Identität, Teil unserer geistigen Einstellung, und es hat uns durch gräßliche Erfahrung gelehrt, stets auf der Hut zu sein." Jede Art von Bedrohung wird ernst genommen, selbst die irrationalsten Szenarien. "Von 1973 an war es so, wenn neun Geheimdienstanalytiker zur selben Schlußfolgerung kamen, hatte der zehnte die Pflicht, ihnen zu widersprechen. Ganz gleich, wie unwahrscheinlich oder an den Haaren herbeigezogen eine Möglichkeit schien, man mußte ihr immer auf den Grund gehen."

Die Nordkoreaner verschwinden lautlos und komplett in bisher in ihrer Größe noch nicht bekannten unterirdischen Bunkersystemen, wobei nicht klar ist, ob sich dort unter ihnen auch schon Zombies befinden, mit den entsprechenden fürchterlichen Konsequenzen.

Ein japanischer Junge kommt zu Wort, der vor der Katastrophe zu den Otaku gehörte, menschliche Außenseiter, die ihr Leben im Cyberspace verbringen, meistens in einem Hinterzimmer in der Wohnung der Eltern. Kontakt mit der Außenwelt hatte er nur noch, wenn er das Tablett mit Essen in sein Zimmer trug, das seine Eltern vor die Tür stellten. Die Nahrungsaufnahme war für ihn von größter Lästigkeit, weil man dabei Zeit für das Netz verliert. Wo seine Eltern waren "interessierte mich nur, soweit es die kostbaren Minuten betraf, die ich für die Beschaffung meines Essens vergeudete. In meiner Welt passierten einfach zuviele aufregende Dinge." Er ist zwar aus dem Netz über das Geschehen draußen bestens informiert, aber dann doch überrumpelt, als er sich in seinem Hochhaus mitten unter Zombies befindet, die Eltern sind längst selbst welche. Er versucht erfolglos, so schnell wie möglich wieder online zu gehen, weil er sich dort in Sicherheit fühlt. Wegen seiner schlechte körperlichen Verfassung braucht er drei Tage, um an Bettlaken von Etage zu Etage nach unten zu klettern. Am Boden ist er sicherer, denn er weiß aus dem Netz längst, wie man sich dort am besten bewegt, um den Zombies zu entkommen. Er wird dann sogar zum Schwertkämpfer, eine Art Internet-Detox-Kur und Bildungsroman in Kurzform.

Die Amerikaner, die dem Zombie-Feind in bester Militär-Tradition einen Spitznamen geben ("Zack"), wollen möglichst schnell eine Entscheidungsschlacht führen, das ist ihr Denkmuster, dafür fahren sie an einer strategisch günstigen Stelle Bataillone mit modernstem Waffenarsenal auf, was aber nichts nützt, denn die Zombies kriechen auch zerschossen einfach weiter. Angst können sie mit ihren Waffen bei diesem Gegner auch nicht auslösen. Die militärische Überlegenheit schlägt schnell ins Gegenteil um, da die Soldaten über modernste, in ihre Helme integrierte Kopfhörersysteme kommunizieren, was nur dazu führt, daß sich die angesichts der Wirkungslosigkeit der Waffen unter ihnen aufkommende Panik rasend schnell verbreitet. Viel später stellt man fest, daß die effektivste Waffe Lobotomisierer sind, sogenannte "Lobos", eine Art zweispitzige Hacke mit Holzgriff, mit der die Zombis durch einen Schlag in die Stirn getötet werden. Genauso sind z.B. in England Menschen mit Hellebarden und anderen mittelalterlichen Schaustücken, die wieder zu wirksamen Waffen geworden sind, ein gewohntes Bild, nachdem die Museen geplündert wurden.

Max Brooks verfügt über ein umfassendes Wissen zu moderner Militärtechnik. Ein Interviewter führt aus, daß Minen kein Mittel gegen Zombies sind, da sie den menschlichen Körper nicht zerstören und Zombies sich ja auch verstümmelt weiterbewegen. Minen wurden entworfen

"nicht um Menschen zu töten, sondern um sie zu verstümmeln, damit die Armee wertvolle Ressourcen opfern muß, damit man sie am Leben halten und anschließend im Rollstuhl nach Hause schicken kann, wo sich Mana und Papa Zivilist, wenn sie ihren Jungen ansehen, dann jedes Mal fragen, ob es wirklich so eine gute Idee war, diesen Krieg zu befürworten. Konventionelle Minen haben lediglich für eine Menge verkrüppelter Ghule [Zombies] gesorgt, die einem, wenn überhaupt, den Job noch schwerer gemacht haben, weil man will, daß sie aufrecht gehen und leicht zu entdecken sind, und nicht im Gras herumkriechen, bis man auf sie tritt, als wären sie selbst Landminen."

Die Strategie, die schließlich erfolgreich angewandt wird, um diesen Krieg zu gewinnen, mußte von einem noch mit der Apartheid vertrauten Südafrikaner kommen, denn dazu war ein Maß an Zynismus nötig, das sich westliche Demokratien nicht gestatten durften. Da man nicht alle Menschen retten konnte, opferte man bewußt einen Teil von ihnen, indem man sie als Lockmittel einsetzte, um Zombiehorden zu binden, die dann von eingeflogenen Militäreinheiten getötet wurden. "Auf dem Schießstand haben wir mit Metronomen geübt, und die Ausbilder sagten immer nur: 'Die haben es nicht eilig, warum solltet ihr es eilig haben?' Das war eine Methode, um gelassen zu bleiben, sich selbst zu beruhigen. Wir mußten so langsam und roboterhaft sein wie sie. 'Seid zombiehafter als ein Zombie', sagten sie zu uns."

Zahlreiche Details ergeben sich aus den physischen Voraussetzungen von Zombies, die hier zu Ende gedacht werden. Menschen, die angeschnallt in Autos saßen, können sich als Zombies nicht mehr abschnallen, weil Zombies dazu nicht in der Lage sind. Man nennt sie "Greifer", denn sie greifen aus den eventuell geöffneten Fensterscheiben. Genauso gibt es "Kriecher", die keine Beine mehr haben und sich am Boden weiterbewegen.

Auch an der Meeresoberfläche droht Gefahr: "Manche waren mit Schwimmwesten bekleidet reanimiert worden, während andere von Faulgasen aufgebläht waren." Aber noch gefährlicher ist der Meeresboden, wo sich ganze Horden befinden (Zombies neigen, weil sie Geräuschen folgen, zur Bildung von gigantischen Horden), niemand weiß, warum ihnen das Meerwasser nichts anhat. Sie können sich wegen des Auftriebs sogar an Ankerketten hochhangeln, während sie an Land nicht klettern oder auch nur einen Stein werfen können. Man markiert sie nach dem Krieg nur noch und installiert so eine Art Frühwarnsystem.

Ein U-Boot-Kommandant erzählt von der Odyssee seines U-Boots über die Weltmeere, man wollte irgendwo Erde aufnehmen, um Pflanzen ziehen zu können, aber man stellte fest, daß sämtliche Küsten der Welt voller Zombies waren.

In einem Gebiet in Kalifornien führen die Amerikaner ein Überlebenstraining für Spezialeinheiten durch und versehen Zombies mit Peilsendern, um das Erlebnis möglichst echt zu gestalten.

Es kommt zu einem besonders interessanten Phänomen von Menschen, die aus Angst und Panik das Verhalten ihrer Angreifer annehmen, im Buch werden sie "Quislinge" genannt, nach dem norwegischen Faschisten-Führer. Sie sehen aus und gebärden sich wie Zombies, man kann sie zunächst nicht von ihnen unterscheiden, weil sie sogar Menschen fressen. Deshalb dachte man anfangs, Zombies würden sich auch gegenseitig angreifen, weil man beobachtet hatte, wie sich Zombies auf andere Zombies stürzten, bei den Opfern hatte es sich aber um Quislinge gehandelt. Später merkt man, daß Zombies im Gegensatz zu Quislingen nicht zwinkern, woran man sie unterscheiden kann.

Anders als es oft dargestellt wird, tragen viele Zombies Pyjamas oder Krankenhauskleidung, weil die Infizierten anfangs noch in Krankenhäusern behandelt worden waren.

"Mir war aufgefallen, daß die lebenden Toten erstaunlich wenig eigene Gerüche besaßen. Ja, ihnen haftete der schwache Geruch von Verwesung an, der manchmal ausgeprägter schien, wenn die Reanimation schon eine Weile zurücklag oder wenn verzehrtes Fleischdurch die Eingeweide gewandert war und sich als verwesender Haufen in der Unterwäsche sammelte."

Viele Menschen fliehen in den Norden, weil Zombies im Winter einfrieren. Deshalb beginnt dort mit dem Tauwetter im Frühjahr immer die Gefahrensaison. In der derben Militärsprache nennt man das, was man dann sucht, "Zack am Stiel".

Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß sich die Zeiten immer darin unterscheiden, ob die Angst vor Vampiren oder vor Zombies populärer sei. Die Vampir-Angst gehörte danach eher zum Kalten Krieg, als man Angst hatte, der mysteriöse, unzivilisierte Ostblock (Stichwort "Balkan") könnte einem Energien absaugen. Momentan sind Zombies populärer, was zu Bevölkerungswachstum, Flüchtlingsströmen, Ausbreitung von Krankheiten durch die Globalisierung paßt.

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Kommentare 2
  1. Uwe Protsch
    Uwe Protsch · vor mehr als 4 Jahre

    Das Wort "Flüchtlingsströme" lese ich nicht gern, denn es wird für ein ganz bestimmtes Framing verwendet: Flüchtlings- bzw. Migrationsbewegungen als bedrohliche Naturgewalt (Näheres u.a. in dem Buch "Männerphantasien" von Theweleit). Dass Politiker und "Politiker" solche Worte "benutzen", ist schlimm genug. Auf piqd möchte ich gerne davon verschont bleiben.

  2. Andreas Schabert
    Andreas Schabert · vor mehr als 4 Jahre

    OMG, das klingt ja super-schräg und ganz schön durchgeknallt alles. Wahrscheinlich hat das Buch dazu noch ca 1100 Seiten? Trotzdem: was ist durchgeknallter: der Zombie-Roman oder die Zombies, die gerade in echt unsere Welt untergehen lassen?

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