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Medien und Gesellschaft

Bernd Ulrich will den prozessbetreuenden Journalismus nicht mehr mitmachen

Christoph Zensen
Informationswissenschaft, Medieninformatik, Produktmanagement

#ViewFromSomewhere #MovementJournalism

Zum User-Profil
Christoph ZensenMittwoch, 05.06.2019

Auf dem letzten Reporterforum hat Bernd Ulrich einen bemerkenswerten Beitrag in einer – ansonsten wenig interessanten – Podiumsdiskussion geleistet. Die Diskussion hatte den Titel "Warum der allwissende Journalismus nicht mehr funktioniert". Ich habe den Beitrag von Bernd Ulrich transkribiert:

Politik und Medien haben im Prinzip beschlossen: Wollen wir, dass die Politik in Deutschland so groß ist, wie die Probleme, die wir jetzt haben in diesem dreifachen Epochenbruch [Niedergang des Westen, Klimakrise, Ende der Ära Merkel]? Oder: Halten wir fest an der gradualistischen Mitte-Politik und dem darauf orientiertem Journalismus und gucken an, welche Probleme auf die Politik passt, die wir sowieso nur machen können. Und da ist die Entscheidung ganz klar gefallen – bis auf wenige Ausnahmen, es gibt immer Ausreißer, positive und so weiter – dass man über Politik so berichtet und Probleme so portioniert, dass sie auf die Politik passt, wie sie halt nun mal so ist.

[...]

Das wäre aus meiner Sicht die Chance, in diesem neuen, in diesem dreifachen Epochenbruch, dass die Medien diese Schemata der alten Mitte-Fixierung, des alten Gradualismus überwinden, dass sie nicht nur vermitteln zwischen verschiedenen politischen – oder sonst wie – Positionen, dass sie nicht nur vermitteln zwischen Politik und Bevölkerung, Lesern, Usern, sondern vermitteln zwischen der Öffentlichkeit und der Wirklichkeit.

Den Extremismus der Normalität, in der wir leben, freizulegen, das Normale zu enthüllen und zu entlarven. Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit. Und den prozessbetreuenden Journalismus nicht mehr mitzumachen.

Das wäre mein Wunsch.


Die Podcasts des Reporterforums gibt es jetzt neuerdings bei der Reporterfabrik unter: https://reporterfabrik.org/podcast/. Allerdings muss man die Podcasts erst mit einem Passwort freischalten. Unten gibts den Link direkt auf die Audiodatei.

Bernd Ulrich will den prozessbetreuenden Journalismus nicht mehr mitmachen

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Kommentare 9
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor mehr als 5 Jahre

    Ein sehr wichtiger Beitrag. Besonderen Dank für das Transkribieren.

  2. Christoph Zensen
    Christoph Zensen · vor mehr als 5 Jahre

    In diesem Text (schon ein Jahr alt) formuliert Bernd Ulrich seine Thesen auch in einem längeren Text aus: https://www.zeit.de/20...

    1. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

      Danke, lese ich mir durch sobald ich Zeit habe.

    2. Frederik Fischer
      Frederik Fischer · vor mehr als 5 Jahre

      In der aktuellen Zeit gibt es auch einen Text von ihm zum Thema. Geht im Kern zwar um die CDU, dockt aber gut an seine Auftritt hier an.
      https://www.zeit.de/20...

  3. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

    Großartiger Beitrag! Was er verlangt ist nicht weniger als ein Spagat zwischen bescheidener Rücknahme des Selbst und engagierter Offenlegung der Bereiche in der die Politik keine Antworten auf die Radikalität der Wirklichkeit mehr hat. Und das alles ohne belehrend zu sein. Überspitzt gesagt: Michael Moore ohne Michael Moore zu sein! Kann es eine schönere Herausforderung für einen engagierten Journalisten geben?

    1. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      Engagierter Journalismus mit Haltung, genau darum geht es. Ich denke allerdings nicht, dass das mit der "bescheidenen Rücknahme des Selbst" einhergeht, sondern im Gegenteil: Journalisten werden aufgefordert, die Wirklichkeit anhand der eigenen Haltung zu bewerten. Nicht mehr "he said, she said".

    2. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

      @Christoph Zensen Ich glaube, das sind zwei paar Stiefel. Sicher muss der Journalist die Wirklichkeit mutig anhand der eigenen Haltung bewerten. Zu diesem Mut ruft er auch auf. Aber dass der Journalist sich zurücknehmen soll, sagt er auch sehr deutlich, wenn er z.B. vom investigativem Journalismus fordert, dass das Team und das "How we did.." nicht mehr Objekt der Reportage sein sollen. Oder wo er sagt, dass es ein Unding sei, wenn ein Leitartikler der Politik jeden Tag eine Predigt halte, was jetzt zu tun sei.

      Deswegen sagte ich Spagat. Das ist wirklich keine einfache Sache und benötigt sehr viel Selbstdisziplin und Fingerspitzengefühl. Als einen Aufruf plötzlich in Aktivismus auszubrechen verstehe ich das Gesagte jedenfalls nicht.

    3. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      (in Antwort auf gelöschten Kommentar) Das ist mir wohl durchgegangen. Ich finde es allerdings auch sehr schwer, mir das praktisch vorzustellen. Du ja offenbar auch, Spagat und so.

      Für mich ist das ein Entweder-Oder.

      Entweder man versucht sich zurückzunehmen und sucht für einen Sachverhalt viele Perspektiven, auch wenn einige davon auch noch so bescheuert sind. Das führt dann zu den Mitte-Mechanik (die Wahrheit liegt **immer** in der Mitte).

      Oder man schaut sich die Perspektiven an und nennt diejenigen, die Bullshit sind, auch so. Aber dann ist das kein bescheidenes Zurücknehmen, sondern ein mutiges Handeln.

      Der Beitrag geht ja auch gegen den allwissenden, allmächtigen Autor. Und ich verstehe das so, dass dieser verschleiert, wo sein Wissen herkommt und so als Genie über den Dingen schwebt. So hatte ich auch die Kritik an dem Leitartikler (Heribert Prantl oder?) verstanden.

    4. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      @Christoph Zensen Ja, in der Praxis wird's wohl darauf hinauslaufen. Was ja auch wohltuend sein kann. Das kennt man ja auch im Persönlichen: manchmal ist es einfach gut, erstmal den Mund zu halten. Damit spart man Energie für die Dinge, wo man sich auskennt und wo sich das Draufhauen lohnt. Und gleichzeitig gewinnt man Zeit, sich mit dem Unvertrauten zu beschäftigen. Was dann auch ganz sicher so manchem "Überflieger"-Leitartikler gut täte, der vor lauter Publizieren zu nichts anderem mehr kommt - weder zum Denken noch zum Dazulernen. Was ja auch quasi automatisch dazu führt, dass man die Herkunft seines Wissens "verschleiern" muss. Ansonsten müsste man ja zugeben, dass man selbst auch nur eine unfundierte Meinung ins Spiel bringt.

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