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Literatur

Du warst nie wirklich hier

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDienstag, 15.05.2018

Im Kino gewesen, geärgert. Letzten Donnerstag bestand mein alter Kumpel Jay C. darauf, dass wir tatsächlich mal wieder wie verabredet ins Kino gehen. Keine kurzfristigen Absagen wegen Independence-Day-Gewitter über Berlin undsoweiter, unser letzter Film war das großartige Harry Dean Stanton-Abschiedswerk "Lucky" gewesen. Das war Monate her, so konnte es nicht weitergehen. Denn Woche für Woche fielen die Film-Erzählungen wie Heuschrecken in die Stadt ein, wir hatten längst den Anschluss verloren.

Ich ließ Jay C. wählen: "Ladybird" oder "A Beautiful day". Über beide Filme hatte ich massenweise Kinokritiken aus dem Print-Feuilleton aufbewahrt, die ich wegen der unguten Kritiker-Neigung, die Handlung nach- beziehungsweise vorzuerzählen eigentlich immer nur aufhebe, bis ich den Film auch tatsächlich gesehen habe, was in der Regel dazu führt, dass ich sie ungelesen wegschmeiße, weil ich es nicht geschafft habe, den Film anzusehen.

Bei "Ladybird" und "Beautiful Day" hatte ich die Kritiken aber zumindest kurz überflogen und daraus bei beiden so ein absoluter-Film-Tipp-Gefühl herausgefiltert. So war ich vollkommen einverstanden, dass Jay C. sich für uns beide für "A Beautiful Day" entschied. Und ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn man länger nicht im Kino war, fühlt man sich so komisch offen und ungeschützt der Erfahrung an sich gegenüber:

Die Leute, die sich erst in letzter Sekunde neben einen setzen, mit ihren Gerüchen und Geräuschen. Die Filmtrailer nach dem "Wenn Sie dieser Film interessiert, gucken Sie auch ..."-Prinzip. Die Werbung, die vor dem Film läuft: In unserem Fall ein unglaublich aufwendiger und ebenso korrupter Streifen, in dem Jella Haase und Jim Rakete ihre Seelen für Toyota-Hybrid-Autos verkaufen (was die beiden vermutlich nie und die Kinobesucher auch erst ganz am Ende des grauenhaften Spots kapieren).

Das war aber alles noch gar nichts im Vergleich zu der reaktionären Arthouse-Scheiße, die uns völlig unvorbereitet im Hauptfilm erwartete. "A Beautiful Day": Joaquin Phoenix sieht mit Vollbart aus wie Mel Gibson und schleppt sich durch die Rolle eines multipel traumatisierten Ex-FBI-/Ex-Marines, der jetzt demokratisch anmutende US-Gouverneure mit einem Hammer jagt, um irgendwelche Rich Kids aus ihren pädophilen Händen zu befreien. Jede Form von Handlung oder Psychologie wurde zugunsten von hochästhetischen Nah-Aufnahmen aufgegeben, die in einem wilden Inneren Regie-Monolog zusammengesampelt werden. Die Großstadt ist ein böser unheimlicher Ort, mit der schwer verstörenden Musik von Radiohead Johnny Greenwood auf der Tonspur drübergelegt. Der Killer Joe (Joaquin Phoenix) wird von anderen, noch viel schlimmeren Killern gejagt, die seine alte, arme Mutter, bei der er immer noch lebt, um die er sich immer noch kümmert, einfach abknallen.

Alles eine große Scheiße, alles ein Riesenkomplott, alles eine übertriebene Übung in Sachen Lakonie. In der schlimmsten Szene fährt Joe gemeinsam mit dem Leichnam seiner Mutter endlich aus dem perversen Moloch der von pädophilen Demokraten regierten Großstädte raus in die gute alte Natur, um mit ihr gemeinsam in einen idyllischen See zu gehen. Beide tauchen ab in eine Jane-Campion-Szene (wie in "Das Piano"), der Leichnam in einer Plastikfolie, aus der nur ein paar Locken herausquellen (wie aus dem Koffer in "Top of the Lake 2"), bis Joe unter Wasser eine Vision hat, dass er ja noch ein Kind befreien muss...

Völlig geladen laufe ich noch während des Abspanns aus dem Kino und das alles wäre kein Fall für den Literatenfunk, wenn ich nicht auf der Leinwand trotzdem noch kurz mitbekäme, dass der Film auf einem Buch von Jonathan Ames basiert. Jonathan Ames, den ich eigentlich immer mochte: Ex-Freund von Fiona Apple (die ihm nach ihrer Beziehung den Song "Jonathan" widmete), Erfinder der großartigen New-York-Detektiv-Serie "Bored to Death" hat jetzt die Vorlage für so einen Mist geschrieben?!?!

Ich kann es nicht fassen und lese zuhause in die elektronische Leseprobe rein. Immerhin hat das Buch einen schönen Titel ("You Were Never Really Here", wie der amazon-Singles-Thriller-Soon-to-be-a-major-film in den USA heißt). Immerhin wird in dem Kurzroman der Auftragskiller ein bisschen straighter und nicht ganz so indiewood-mäßig elefanten-schlafwandlerisch umrissen, wie ihn Joaquin Phoenix im Film spielt. Immerhin gibt es den schönen Satz über den Ex-Marine: "He was aware that he was not completely sane, so he kept himself in rigid check, playing both jailer and prisoner."

Aber die Enttäuschung bleibt.

Am nächsten Tag lese ich mir dann auch noch die Rezensionen durch. Philip Bühler in der Berliner: Hymne. Philip Stadelmaier in der SZ: Hymne. Einzig Bert Rebhandl in der FAZ rettet die Berufsehre und macht wenigstens ein paar Bedenken gelten, die man unten im Hauptlink nachlesen kann.

Diese Woche bleib ich lieber wieder zuhause und lese verstörende Bücher.



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Kommentare 1
  1. Annett Gröschner
    Annett Gröschner · vor mehr als 6 Jahre

    Im Kino gewesen. Ladybird gesehen. Nicht geärgert. Doch halt, stimmt nicht ganz. Dieser Autowerbefilm mit Jella Haase und Jim Rakete war mit Abstand die am meisten Brechreiz verursachende Werbung seit Jahren. Korrupt ist das richtige Wort. Zum Fremdschämen peinlich. Man kann (Jella Haase) mit einem Film alle anderen, die man gemacht hat und die vielleicht gar nicht so schlecht waren, verraten.

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