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*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)
Für mich war und ist Claude Lévi-Strauss einer der bedeutendsten Forscher und Theoretiker des vergangenen Jahrhunderts, und sein Leben reichte in das laufende Jahrhundert hinein. Als er 2009 starb, war er 101 Jahre alt, und der Begründer des ethnologischen Strukturalismus, den ich immer auch als Philosophen und Soziologen betrachtete, hatte viele überlebt, die sich als Poststrukturalisten bezeichneten. Seine physische Vitalität ist natürlich nicht aus seiner wissenschaftlichen zu erklären, aber wenn man einen mystischen Zusammenhang konstruieren wollte, könnte man das wahrscheinlich.
Jedenfalls erschien in der DDR 1988, ich war Student damals, also etwa dreißig Jahre nachdem es ursprünglich erschienen war, sein Buch „Traurige Tropen“, dessen Titel mich zugleich faszinierte, als auch irritierte. Der Name des Autors geisterte freilich schon länger auch durch den ostdeutschen Diskurs, aber Strukturalismus galt uns doch eher noch als eine Art Zauberwort, das wir in die Nähe zu Sartres Existenzialismus packten, den wir als literarischen verstanden, weil uns zwar einige Romane, aber nicht die theoretischen Schriften zugänglich waren.
Dann also die „Traurigen Tropen“, sie begannen mit einem eher belletristischen Satz über Forschungsreisen und Forschungsreisende, und sie begannen mit dem Wort „ICH“. Das war außergewöhnlich für ein wissenschaftliches Werk, aber es drängte nicht, wie es den Anschein haben könnte, ins Individualistische, sondern trug eher dem Anspruch des Forschers Rechnung, seine eigene Position im Hinblick auf den Forschungsgegenstand zu reflektieren.
Im Suhrkamp Verlag ist nun ein Buch erschienen, das unter dem Titel „Strukturale Anthropologie Zero“ Arbeiten Lévi-Strauss vereint, die in den Vierzigerjahren in Amerika entstanden. Arbeiten also, die vor den entscheidenden Werken wie „Traurige Tropen“ oder „Strukturale Anthropologie“ die Herausbildung des Strukturalismus im Denken Lévi-Strauss dokumentieren. Zugleich zeigen sie auch, wie es sich zwischen empirischer Forschung und methodisch-methodologischen Denken bewegt.
Im Vorwort führt der Herausgeber Vincent Debaene in das Buch ein und beleuchtet die historischen Bedingungen, vor dern Hintergrund die Texte entstanden. Auch der Zusammenhang von Gegenstand und Zeitgeschichte oder der Einfluss des Wissens um die Shoah auf das wissenschaftliche Denken Levi-Strauss' ist äußerst instruktiv ausgeführt.
Der erste Teil zeigt die Auseinandersetzung Lévi-Strauss' mit der französischen aber auch amerikanischen sozialwissenschaftlichen Tradition bis hin zu kritischen Anmerkungen zu Namens- und Begriffsfindung. Im relativ kurzen Text: "Der Name Nambikwara" zum Beispiel kritisiert er einen kolonialen Zugriff auf die Namensgebung für indgene Gruppen im brasilianischen Regenwald.
In einer Reihe von Rezensionen, die im Kapitel „Individuum und Gesellschaft“ zusammengefasst sind, wird deutlich, wie sich seine Sensibilität für dieses Koloniale des Blickes schärft. Und letztlich richtet er diesen geschärften Blick auch auf die amerikanische Gesellschaft der Vierzigerjahre in dem Artikel „Die Technik des Glücks“, in der er die Diskrepanz einer jungen Gesellschaft zu den in ihr verankerten älteren Traditionen aufzeigt und eine innere Zerissenheit,. (Unter den gleichen Titel veröffentlichte übrigens der deutsche Anarchist und Nationalökonom Franz Jung Anfang der Zwanzigerjahre sein theoretisches Hauptwerk.)
Die letzten drei Teile des Buches vereinen im strengeren Sinn ethnologische und ethnografische Arbeiten. Aber auch hier finden sich immer wieder Selbstreflexionen die durch die Analyse des europäischen Blicks angestoßen werden:
„Würden wir gründlich über die aus diesen Beobachtungen zu ziehenden Lehren nachdenken, müßten wir uns wohl fragen, ob die Entwicklung von Ideologie und Politik in unserer westlichen Gesllschaft uns nicht dahin gebracht hat, lediglich ein Glied des Gegensatzes unter Ausschluß des anderen auszubilden. Das gesamte moderne christliche und demokratische Denken war auf die stete Erweiterung der Grenzen der Menschengruppe gerichtet, so weit, dass der Begriff der Menschheit sich mit der Gesamtheit der den Globus bevölkernden Menschheit deckt.“
Diesem imperialen Zugriff setzt Levi-Strauss das Denken einer Gesamtheit konkreter Gruppen entgegen, zwischen denen sich ein konstantes Gleichgewicht herstellen müsse.
Wie aktuell ein solches Denken ist, zeigt sich im Scheitern der westlichen Welt in Afghanistan, aber auch in der Zerstörung des Lebensraums indigener Völker durch Raubbau an der Natur und den Klimawandel.
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Vielen Dank für die persönlichen Worte der Wertschätzung. Als Forscher in Amazonien war die Anthropologie von Lévy-Strauss mir ein enger Begleiter. Ich bin gespannt auf die bisher nur schwer zugänglichen Texte, die Suhrkamp in der "Zero" zusammengepackt hat.