sharing is caring
ist wirklich so!
Vielen Dank fürs Teilen!
Kluge Köpfe filtern für dich relevante Beiträge aus dem Netz.
Entdecke handverlesene Artikel, Videos und Audios zu deinen Themen.
Geboren 1959 in Rostock, Lehre als Rinderzüchter, Arbeit im Beruf, 1990
Abitur. 1992 Studium Alte Geschichte und Latein an der Humboldt-Universität
Berlin. 1998 bis 2001 Aufenthalt in Südostasien, danach Jobs als Kellner in
Berlin. Seit 2005 Reportagen und Porträts für „taz" und „Freitag", 2006
Reportagen für den Reiseteil der „Welt am Sonntag", Reportagen für die "Sächsische Zeitung", für "Merian", für den Reiseteil der "FAZ", für Ressort Leben und Politik der "FAS".
Davonkommen
Weil Ernest Hemingway Stierkämpfe mochte, Gewehre, Huren und Whisky, gilt er als Macho. Dabei bewegte er sich stets am Abgrund, war melancholisch und schien immer irgendwie gerade nicht anwesend zu sein.
Ernest Hemingway hatte ein Gesicht, in das man greifen möchte, um es zu fühlen. Als Schriftsteller war er im Mittelpunkt, er hatte Erfolg, er hätte frei sein können und glücklich, er war es nicht.
Die Geschichten enden alle tragisch, die er erzählt. Er war viermal verheiratet, hatte sechs Kinder, und als er sich die Stirn wegschoss, 1961, war Havanna nicht mehr so, wie es gewesen war, bevor Fidel Castro kam. Im Leben war Hemingway am Rand. Etwas war da, das ihn zum Unglücklichsein zwang.
Er schrieb bis vormittags um elf und fing dann zu trinken an. Nach dem Mittagessen ließ er sich von seinem Chauffeur in der Floridita-Bar absetzen und trank weiter. Hatte er genug getrunken, ging er zu Havannas Huren. Danach trank er wieder. Am Ende seines Lebens richtete er die geliebte Springfield-Büchse gegen sich selbst.
Er schoss gerne, er konnte nicht anders. Wie er nicht anders konnte, als zu schreiben, zu huren, zu trinken, Stierkämpfe zu gucken und berühmte Matadore mehr zu lieben als die Mütter seiner Kinder.
Er fuhr auf Safari nach Afrika und legte auf alles das an, was vor ihm stand, wegrannte oder hochflatterte: Fasane, Perlhühner, Nashörner, Löwen, Antilopen, Hyänen. Hyänen besonders. Der Todeskampf einer Tüpfelhyäne fesselte ihn: »zu sehen, wie sie sich rückwärts überschlug, … zu sehen, dass sie mit dem kleinen vernickelten Tod in sich um die Wette jagte.«
Er drückte ab, er hörte den Schuss krachen, dann wartete er auf das Klatschen, das entsteht, wenn die Kugel ins Feder- oder Fellkleid des Tieres einschlägt. Erwischte er das Opfer nicht sofort tödlich, schoss er es zu Klump.
Er drückte ab, und während er auf das Klatschen wartete, dachte er daran, dass sein Vater auch gern geschossen und dass er sich mit dem eigenen Gewehr umgebracht hatte, als er, Hemingway, erwachsen war, und dass er, Hemingway, sich deshalb mit achtzehn zum Sanitätsdienst an die Front in Europa gemeldet hatte, weil er nicht depressiv sein wollte und ein Feigling wie der Vater.
Klatschte es nach dem Schuss, dumpf und weich, wusste er, dass die Kugel das Ziel erreicht hatte. Er traf fast immer, und es war stets eine Erlösung für ihn.
Das Geräusch hatte ihn zum ersten Mal erlöst, als er an einem Fluss in Oberitalien im Schützengraben gelegen hatte, vor sich die Österreicher, die angriffen, hinter sich weites, offenes, schutzloses Land. Hemingway ahnte, es dürfte schwierig damit werden davonzukommen.
Durch zähen Ufermorast kamen die Angreifer heran, und je näher sie herankamen, desto tiefer wurde er, dann reichte er ihnen bis an die Brust. Sie hielten die Gewehre in die Höhe, und mit täppisch wirkendem Schaukeln des Oberkörpers, die Nasen und Köpfe gereckt, schoben sie sich vorwärts, und als sie nahe genug heranwaren, schlugen die Kugeln der Verteidiger klatschend in ihre dicken, vom Morast fleckig braun verfärbten Mäntel ein.
Hilflos und mit jungen, dummen, ungläubigen Gesichtern versanken die Getroffenen im Morast. Sie wussten noch nichts vom Tod und nicht, warum er sie traf, wie auch die Verteidiger noch nichts vom Tod wussten und nicht, warum er sie verschonte. Die Getroffenen versanken, das Gewehr von sich werfend, und starben mit emporgestreckten Armen und ohne einen einzigen Schuss abgegeben zu haben. Die Verteidiger sahen alldem zu und schossen weiter, und diejenigen der Angreifer, die noch nicht getroffen worden waren, wurden jetzt getroffen.
Es war grotesk, lächerlich und sinnlos, und jetzt wussten Verteidiger wie Angreifer, dass der Tod genau so ist. Die Angreifer kamen, und wie sie kamen, so fielen sie, grotesk, lächerlich und sinnlos, und Hemingway sah, dass es das Davonkommen gibt, solange nur das Klatschen kommt, ununterbrochen kommt, und keiner der Angreifer kam durch.
An jenem Tag ist er am Fluss gewesen, und dann lebte er weiter. Das wusste er. Das und dass er davongekommen war, er wusste bloß nicht, wozu. Hinterher versuchte er immer zu verstehen, was gerade passierte. Versuchte, sich zurechtzufinden und die Dinge auseinanderzuhalten, und als ihm das misslang, begriff er, dass es das Davonkommen nicht gibt.
An jenem Tag am Fluss ist er dagewesen, mittendrin, und später schrieb er über das Wasser der Kanäle Venedigs, über das Wasser der Seine, und in Paris erwachte er endlich. Dort ängstigte er sich nur noch davor, dass er womöglich zweimal mit ein und derselben Hure zusammengewesen ist.
Er schreibt, er träumt nicht mehr von der Front. Träumt stattdessen von einem Haus und von einem Fluss, und als er sich daran zu erinnern versucht, ist da kein Haus, und der Fluss ist anders, und er fragt sich, warum er schweißgebadet aufgewacht und wo die Gefahr gewesen ist.
Andererseits wusste Hemingway genau, weshalb er immer wieder dem Krieg dorthin folgte, wo der gerade war. Nach der italienisch-österreichischen Front im Ersten Weltkrieg war Hemingway als Reporter 1922 im griechisch-türkischen Krieg, 1937 im Spanischen Bürgerkrieg und 1944 bei der Alliierten Landung in der Normandie mit dabei.
Der Schock des Krieges, sagt er, gibt dem Schreibenden ein Gefühl für Proportionen. »Schriftsteller werden in Ungerechtigkeit geschmiedet wie ein Schwert geschmiedet wird.« Und was ist, hatte man keinen Krieg?
Eine kaputte Kindheit ist auch ein Schock, ist wie Krieg fürs Schreiben gut, sagt Hemingway dazu, der Schriftsteller wird sie direkt und indirekt ein Leben lang zum Gegenstand haben.
Er hatte beides, Krieg und eine kaputte Kindheit, und er hatte Glück. Das Glück, außer Talent zum Schreiben auch Intelligenz zu haben, Ehrgeiz und einen eisernen Willen. Wer weiß, was aus ihm geworden wäre, hätte er ein anderes Talent als das zum Schreiben gehabt. Er hätte jedes Ding zur Perfektion gebracht, wie er das Schreiben zur Perfektion gebracht hat.
Als Pubertierender konnte er niemanden aus seiner Familie riechen, am widerlichsten dabei war ihm der Geruch des Vaters. Und sollte eines Tages eine von den Unterhosen anziehen, die dem Vater zu klein geworden waren.
Hemingway roch an der Unterhose und fand, dass sie schlecht riecht, obwohl sie gewaschen war, und er sagte dem Vater, dass sie schlecht riecht, und der Vater roch auch an der Unterhose und sagte, sie riecht frisch. Hemingway musste sie sich anziehen, und als er im Wald war, übergab er sich und warf die Hose in den Bach.
Aber eine seiner Schwestern liebte er und floh mit ihr zusammen von zu Hause. Sie lagen im Wald beieinander und sprachen dabei darüber, ob sie einander heiraten könnten und Kinder miteinander haben. Ich tue alles für dich, wirklich alles, wenn du mich nur nie verlässt, sagte sie, und er sagte, das geht nicht, nein, und wir müssen bald wieder zurück.
Als die Zeit für ihn heran war, schlief er mit den Mädchen, die ihn wollten, und es waren die begehrtesten von allen, und wenn er mit ihnen fertig war, ging er angeln, und die Fische interessierten ihn nur solange, als er sie nicht am Haken hatte.
In seinen Büchern nahm er sich die Frauen, wie sie kamen, und nachdem er sie gehabt hatte, verließen sie ihn oder starben. Und auch seine Kinder starben, wenn er über sie schrieb, seine Kinder, die er vergötterte. Schließlich hatte er nur noch seine Katzen, mit denen er stumme Zwiesprache hielt, und dann war er selbst mit dem Sterben dran. Und wenn er dann gestorben war, fing er eine neue Geschichte an, die auch wieder Sterben in der Hoffnung auf Wiedergeburt ist.
Das war der eine Hemingway, derjenige, der unaufhörlich dasselbe schrieb, weil er in sich selbst gefangen war. Der andere schrieb, um die Familie zu ernähren und die Kreise zu finanzieren, die er in der Welt zog. Derjenige, der wusste, dass es sich empfiehlt, sein Thema nur geringfügig zu variieren, will man den dauerhaften Erfolg.
»Ich darf mein eigenes verfluchtes Leben nicht so wichtig nehmen«, schreibt er, als er schon lange erfolgreich ist. »Und arbeiten muss ich. Egal, was dabei herauskommt. Ich werde mein Leben so führen, dass es mir gefällt, und Arbeit ist etwas, das immer befriedigt.«
Gearbeitet hat er, und wie. Befriedigt hat es ihn nicht. Dazu nahm er sein Leben zu wichtig, das ihn auch nicht befriedigt hat. Nichts hat ihn befriedigt, das eigene Arbeiten und Leben am allerwenigsten. Von Anfang an wollte er berühmt werden und Schriftsteller, und als es soweit war, befriedigte es ihn nicht. Er wusste, dass Zufriedenheit Freiheit bedeutet, aber er glaubte nicht daran, und da er maßlos war und ein Genie, war er nie zufrieden.
Befriedigung beim Arbeiten empfand er nur in dem einen Sinn. Er schrieb eine bestimmte Anzahl von Wörtern nieder, um sich danach in die allergewöhnlichsten Exzesse zu stürzen. Dennoch verlor er sich nie ganz in Suff und Hurerei, wie er sich nie ganz in seiner Angst und seiner Einsamkeit verlor. Nur am Schluss, da konnte er nicht mehr, da gab er nach.
Er ist aufrichtig genug dazu gewesen zuzugeben, wie erbärmlich er sich oftmals durch den Tag stahl. Aufrichtiger als diejenigen, die über ihn sagen, dass er Frauenhasser war. Es stimmt nicht, es ist umgekehrt, es gibt Frauen, und Männer, die hassen ihn. Er war eitel, geschwätzig und grausam, einfühlsam, scheu und verführerisch. Das alles war er, nur mit dem Wort Hass zu begreifen ist er nicht. Er wollte immer sich selbst entkommen, ob er nun schrieb, schoss, hurte oder sich betrank.
Es gibt seine Reisen, seine Abenteuer, die Bücher. Darüber könnte übersehen werden, unter welchen Qualen sie alle zustandekamen.
Der Vater. Zu schreiben und berühmt zu werden, schien Hemingway der Weg dahin zu sein, sich über ihn zu erheben. Doch wann immer er ihn später erwähnt, sind Furcht und Faszination zu spüren, mit denen er es tut. Er schreibt über das Sterben des Vaters und nennt es feige, in Paris aber denkt er darüber nach, ob es ihm, Hemingway, helfen würde, den Sarg mit dem Toten darin nach Frankreich zu überführen.
Vorm Vater war er in den Großen Krieg in Europa geflohen, und als er in der vordersten Linie angekommen war, hatte er es mit neuem Grauen zu tun, ohne das vorangegangene abgeschüttelt zu haben. Fortan schrieb er einen endlosen Strom von Bildern und Gedanken nieder.
Seit jenem Tag am Fluss, schreibt er, geht alles durcheinander bei ihm. Aber wenn er es macht wie Cezanne und die Dinge in Details auflöst, dann geht es schon, dann weiß er für eine Weile, wo er ist.
Doch dann verwirrte sich alles wieder wie ohne Grund, und dann war da der eine Augenblick, und er war allein mit ihm: Er kniet in der Savanne, weites, offenes Land hinter sich, und zielt mit dem Gewehr auf die Hyänen, auf ihr geflecktes Erdbraun, das ihm wie die Färbung der Soldatenmäntel der Feinde am Fluss in Oberitalien vorkommt.
Er zielt auch darauf, wie sich die Hyänen ihm, Hemingway, nähern, unter Schaukeln des Körpers und mit gerecktem Schädel, wie sich auch die Österreicher, die angriffen, damals schaukelnd und mit gerecktem Schädel durch den Morast hindurch dem italienischen Graben genähert haben. Und dann lässt Hemingway die Hyänen ihren Tod sterben, mit seiner Kugel im Leib.
In der Stierkampfarena ist es das glatte, saubere Hineinfahren des Degens, und der Angreifer, der Stier, fällt wie vom Blitz getroffen. Das glatte, saubere Davonkommen; das elegante, endgültige, das war etwas anderes als das dem Nichts Entgegentreiben, das Hemingway in sich selbst fühlte. Es hatte nichts Sexuelles für ihn an sich, das Stieretöten, nichts von einer solchen Pose.
Wahrhaftig wollte er sein. Er wusste, dass es keinen Ausweg gibt, auch für einen Künstler nicht, für den gleich gar nicht. Also wollte er wahrhaftig sein. Robert Jordan, nennt er sich in seinen Romanen, Thomas Hudson, Frederick Henry oder auch Nick Adams. Unter den und anderen Namen ist er zum Helden geworden, zur Kultfigur der Jugend seiner und der nächsten Generation.
Er hatte es geschafft, er war Schriftsteller, und er war berühmt. Nur den Alltag schaffte er nicht, da war kein Licht. Schilderte er aber den Alltag, die Verzweiflung und die Einsamkeit darin, machte er große Literatur daraus. Als er merkte, dass das doch kein Leben ist, das ihm gefällt, und dass das Schreiben den Aufwand nicht lohnt, es länger zu ertragen, starb er einen grotesken, lächerlichen, sinnlosen Tod.
Bleib immer informiert! Hier gibt's den Kanal Literatur als Newsletter.
Einfach die Hörempfehlungen unserer Kurator'innen als Feed in deinem Podcatcher abonnieren. Fertig ist das Ohrenglück!
Öffne deinen Podcast Feed in AntennaPod:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Apple Podcasts:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Downcast:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Instacast:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Apple Podcasts:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Podgrasp:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Bitte kopiere die URL und füge sie in deine
Podcast- oder RSS-APP ein.
Wenn du fertig bist,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in gpodder.net:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Pocket Casts:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.