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Europa

Belarus, Russland und Ukraine - ein Krieg der Wirtschaftsmodelle

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 01.06.2024

^New Eastern Europe" ist ein zweimonatlich erscheinendes Nachrichtenmagazin, das sich mit mittel- und osteuropäischen Themen befasst. Es wird vom Jan-Nowak-Jeziorański-College of Eastern Europe in Wrocław, einer in Polen ansässigen NGO-Denkfabrik, herausgegeben. Es sieht seine Aufgabe darin, Debatten und Dialoge  über Probleme zu fördern, mit denen die Staaten konfrontiert sind, die einst Teil der Sowjetunion waren oder unter deren Einfluss standen. Es geht um mehr Wissen und Verständnis für diese Region Europas.  

Dieser Pick empfiehlt zwei Artikel zum Vergleich der Ökonomien Belarus, Russlands und der Ukraine für das Jahr 2023 und das beginnende Jahr 2024. Länder, die sich auch in einem Wirtschaftskrieg befinden. 

Ausgangspunkt ist die allgemeine Einschätzung, wonach Rußland in der jüngeren Vergangenheit eine Politik der Verstaatlichung und Umverteilung verfolgte, während sich Kiew auf die "neoliberale" Einschränkung der staatlichen Beteiligung konzentrierte. Belarus fehlt in solchen Analysen meist. Aber man vermutet, dass es eher Rußland ähnelt.

Das belarussische BIP wuchs im ersten Quartal des Jahres 2024 um 4,1 Prozent. Das Wachstum ist hauptsächlich auf die Beibehaltung des hohen Binnenverbrauchs zurückzuführen, der durch die staatliche Konjunkturpolitik des letzten Jahres gefördert wurde. Der Anstieg der Produktion von Erdölprodukten und Kalidüngemitteln unterstützte das Wachstum. Faktoren, die sich aus den engen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland ergeben, trugen ebenfalls zu diesem Wachstum bei. Die wachsende Nachfrage auf dem russischen Markt, der nach wie vor der einzige wichtige ausländische Partner für belarussische Unternehmen ist, sorgte dafür, dass ein Großteil der Lebensmittelproduktion des Landes dort Abnehmer fand. Es ist auch möglich, dass ein Teil der belarussischen Maschinenbauproduktion an den russischen Militärsektor verkauft wurde.

Allerdings leidet die  belarussische Wirtschaft unter Arbeitskräftemangel. So kamen  lt. Experten in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 auf jede offene Stelle 1,1 Arbeitnehmer, was ein historischen Minimum ist. Und wahrscheinlich eine Folge der anhaltenden Abwanderung von Belarussen.

Auch für Russland zahlt sich die Militarisierung, sprich der Krieg, in den ökonomischen Kennziffern aus. So beließ der Direktoriumsrat der russischen Zentralbank, den Leitzins bei 16 Prozent. Er betonte gleichzeitig, dass der wesentliche, unerwartet hohe Wachstumsimpuls für die Wirtschaft vom Binnenkonsum ausging.

Die Erklärung dafür ist einfach: Durch die staatliche Expansion floss mehr Geld in die Unternehmen (mehr öffentliche Beschaffungen und Importsubstitutionsprogramme) und in die Haushalte (Einkommenszuwachs). Auch die Binnennachfrage trug teilweise zu den positiven Ergebnissen des Staatshaushaltes in den ersten drei Monaten des Jahres bei. Die Einnahmen des föderalen Haushalts lagen um 50 Prozent höher als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 2023. Das russische Finanzministerium schloss den März sogar mit einem Überschuss von 9,3 Milliarden US-Dollar ab. Das Defizit im ersten Quartal betrug 0,3 Prozent des BIP.

Dabei waren für die Haushaltseinnahmen die Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor noch wichtiger als die Binnennachfrage. Sie waren um 79 Prozent höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Diese Steigerungen basierten einerseits auf den bleibend hohe Ölpreisen auf dem Weltmarkt (was auch zeigt, dass das Embargo hier nicht wirkt) sowie auf internen Änderungen in der Besteuerung des Sektors. 

All diese Phänomene führten zu einem BIP-Wachstum von 5,2 % im ersten Quartal 2024. Gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit im März auf einen historischen Tiefstand von 2,7 %. In seinem Bericht vom März erklärt das Zentrum für Daten und Forschung über Russland (CEDAR), dass die Verwendung dieses Indikators aus mehreren Gründen nicht ganz zuverlässig ist. Dennoch stuft es ihn auf einer Drei-Punkte-Skala als „einigermaßen zuverlässig“ ein. Darüber hinaus haben mehrere Experten und Journalisten sowie russische Beamte in den letzten Monaten den Mangel an Führungskräften in der Wirtschaft als eines der größten aktuellen Probleme hervorgehoben.

Die Ukraine hat im ersten Quartal 2024 noch keine Daten zum BIP veröffentlicht. Prognosen deuten jedoch darauf hin, dass die Steigerung 4,5 Prozent erreichen wird. Die Situation bei der Inflation war besser als in Russland. Ende April senkte die Nationalbank der Ukraine (NBU) den Leitzins um einen Prozentpunkt auf 13,5 Prozent. Klar ist, der ukrainische Haushalt bleibt weiterhin auf externe Finanzierung angewiesen. Er konnte erst im März stabilisiert werden, als es einen bedeutenden Zufluss von neun Milliarden US-Dollargab, von denen mehr als die Hälfte aus der EU kamen. 

Eine weitere wichtige Einnahmequelle für den Haushalt waren die Rekordeinnahmen aus Unternehmenssteuern und Verbrauchsabgaben. Dies war vor allem eine Folge der kontinuierlichen Erholung der Wirtschaftstätigkeit im Lande. Dies war zum Teil auf die positive Stimmung unter den Unternehmern (insbesondere im Handel und im Baugewerbe) zurückzuführen, aber auch auf die Einleitung einiger vom Staat finanzierter Infrastrukturprojekte (multimodaler Verkehr).

Auch in der Ukraine, ähnlich wie in Weißrussland und Russland, gab es einen Mangel an Arbeitskräften. Die Zahl der offenen Stellen erreichte insgesamt 60.000.

Interessant ist der Blick im Artikel auf die „Reformmatrix“, die kürzlich vom ukrainischen Finanzminister Sergii Marchenko vorgestellt wurde. Sie zeigt das Kiewer Verständnis von makroökonomischer Politik. Deren Autoren konzentrieren sich demnach 

eher auf die Stärkung der Unternehmensführung, als dass sie eine umfassende Privatisierung im Stil der 1990er Jahre diskutieren. Die Teile, die sich mit den Plänen zur Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen befassen, scheinen nicht „neoliberaler“ (…..) zu sein als bei anderen Transformationsbemühungen. Man könnte misstrauisch werden, wenn man von geplanten Änderungen der Arbeitsvorschriften liest, denn die Anfang 2022 eingeführte Lockerung des Arbeitnehmerschutzes wurde nie umgesetzt. Es ist auch nicht klar, was es bedeuten würde, die Harmonisierung mit dem EU-Besitzstand“ in diesem speziellen Bereich zu verbessern. Insgesamt scheint das Dokument - wie viele andere der ukrainischen Regierung - eher eine Kombination von Erklärungen zu sein, um ausländischen Unterstützern zu gefallen, als eine durchdachte Strategie.

Es gibt also (erwartungsgemäß) eine Reihe von Ähnlichkeiten in der wirtschaftlichen Dynamik der drei historisch lange verbundenen Länder. Die Wirtschaftskennziffern "profitieren" formal von den Kriegswirtschaften. Der Binnenkonsum wächst durch und mit der Waffenproduktion. Die Unterschiede sieht der Autor in erster Linie als Folge des jeweiligen institutionellen Aufbaus dieser Volkswirtschaften. 

Die ukrainische Wirtschaft war bereits stärker dezentralisiert und „freier“ (wenn man so will) als die von Belarus und Russland. Was wir zum Beispiel im letzten Jahr gesehen haben, war eher ein Versuch des Präsidialzentrums, die Kontrolle über die Wirtschaft zu zentralisieren. Die belarussische Wirtschaft war und ist die am stärksten zentralisierte der drei Länder.

Insgesamt setzt sich wohl 2024 die kürzlich in einem weiteren Artikel vom gleichen Autor analysierte Entwicklung des Vorjahres fort.

Die Bevölkerung der drei Länder leidet am meisten unter den Folgen dieser Veränderungen: forcierte Auswanderung (Belarus und Ukraine), Senkung des Lebensstandards (Russland und Ukraine), Arbeitslosigkeit und die physischen Auswirkungen militärischer Aggressionen (Ukraine). Ein weiteres Problem ist die allgemeine Verschlechterung des Sozialssystems und der sozialen Unterstützung. Darüber hinaus verändert das wirtschaftliche Funktionieren unter Kriegsbedingungen die Strukturen dieser Volkswirtschaften, verstärkt die Präsenz des Zentralstaates in ihnen und ordnet im Falle Russlands die Wirtschaft dem Militärsektor unter. Dies kann zur Folge haben, dass diese Volkswirtschaften in Zukunft weniger flexibel und anfälliger für den Einfluss von Krisen sind. Diese Prozesse zeigen sich in dem „stillen Krieg“ zwischen den wichtigen Wirtschaftsakteuren Russlands um Vermögenswerte und in der Ukraine in dem Versuch, die Rolle der Oligarchen zu schmälern.



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