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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Der lange Weg zu einer strategischen Autonomie

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDienstag, 04.10.2022

Welche Rolle kann Europa in der neuen Weltordnung einnehmen?

Was können zentrale Mächte in Europa, etwa Deutschland, noch bewirken?

Adam Tooze, der britische, in den USA lehrende Wirtschaftshistoriker, diskutiert vor allem die erste Frage in den Blättern für deutsche und internationale Politik.

Der durch den Krieg in und um die Ukraine erfolgte enge Schulterschluss an die USA ist verständlich, aber er birgt auch Gefahren für die Zukunft. Die jetzige enge Bindung ist für ihn

bestenfalls eine Teillösung, sehr wahrscheinlich eine Ablenkung und schlimmstenfalls eine historische Sackgasse.

In vielen Fragen gibt es starke Differenzen und Interessenunterschiede zu den USA und andere Weichenstellungen muss Europa selbst entscheiden. Eine Selbstermächtigung wäre nicht nur gut, sie ist zwingend notwendig, denn auch die europäische Politik muss harte Entscheidungen treffen und wird sich wie üblich auch zuweilen die Hände schmutzig machen. Dies sollte klar benannt und diskutiert werden:

Die EU ist nach Lage der Dinge alles andere als harmlos, und erst wenn sie sich dieser Realität stellt, wird eine wirkliche Debatte um strategische Autonomie beginnen können. Nicht nur verfügen bestimmte EU-Mitglieder über ein aktives Militär mit viel aktueller Erfahrung – insbesondere Frankreich –, sondern wir sollten auch nicht vergessen, wer als Erste EU-Uniformen übergezogen hat: die Frontex-Beamten an Europas Grenzen, die unter anderem in Push-Backs gegen Migranten auf dem Mittelmeer verwickelt sind. Hier sollte eine Debatte um strategische Autonomie beginnen. Sieht strategische Autonomie so aus, angesichts der demographischen und wirtschaftlichen Trends in Afrika und Westasien? Eine primitive Festung Europa? Und falls nicht, was ist die Alternative?

Rückblende: Gregor Keuschnig diskutiert hier ein aktualisiertes altes Buch von Carlo Masala, der wie Tooze auf piqd kein Unbekannter ist.

Schon 2016 erkannte der großartige Kommentar des Ukrainekrieges ein Scheitern der Politik nach 1989:

Die Zeitenwende 1989/90 mit dem Zusammenbruch des bipolaren Systems (USA vs UdSSR bzw. NATO vs Warschauer Pakt) hat nach einem kurzzeitigen Honeymoon (»Ende der Geschichte«) zu einer veritablen weltpolitischen Unordnung geführt. Aber, so stellt Masala kühl fest: »Die Versuche der ‘westlichen’ Welt […] eine neue globale Ordnung zu schaffen, haben in einem nicht unerheblichen Maße dazu beigetragen, dass wir heute in einer Welt der Unordnung leben.« (»Westlich« wird hier natürlich nicht als geografische sondern als gesellschaftlich-kulturelle Zuordnung verstanden.) Daneben gibt es mit dem internationalen Terrorismus, Migrationsströmen, Cyberangriffen und Pandemien weitere Herausforderungen, die zur Destabilisierung führen.

Stärker als Tooze diskutiert Masala das Handeln von Nationalstaaten. Er sieht weniger die Europäische Union agieren, sondern neue Koalitionen der Willigen.


Gestern & Heute: Der lange Weg zu einer strategischen Autonomie

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