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Europa

Der Traum vom Empire 2.0

Silke Jäger
Freie Medizinjournalistin

Ich lebe in Marburg und schreibe über Gesundheit und Gesundheitspolitik.

Zum Kurator'innen-Profil
Silke JägerMontag, 07.08.2017

Was passiert, wenn ein Volk die dunklen Seiten seiner Geschichte nicht ans Licht holt? Wenn es Scham, Wut und Schmerz über Unrecht, das in seinem Namen begangen wurde, mit Stolz und Verklärung zukleistert, auch noch drei Generationen später? Wenn es die Träume seiner Großeltern wieder träumt, von einer weltumspannenden Nationengemeinschaft, in dem die Sonne nie untergeht?

Großbritannien hat seine Kolonialgeschichte nie richtig aufgearbeitet. Sich nicht angeschaut, welche Folgen der Sklavenhandel bis heute hat. Die Irrtümer nicht bereut, die aus wirtschaftlich aufstrebenden Ländern Entwicklungsländer machten. Die Scham nicht gespürt darüber, dass der eigene Wohlstand auf Kosten der einstigen Kolonien gedeiht (bzw. gedieh).

Schüler lernen bis heute über all das fast nichts, denn der Geschichtsunterricht wird von zwei Weltkriegen und Nazideutschland ausgefüllt. Das Gruseln über deutsche Konzentrationslager gelingt leichter, wenn niemand darüber redet, dass die Briten bereits 50 Jahre früher im Burenkrieg concentration camps erfunden hatten.

Das Commonwealth von einst dient vielen Leave-Wählern als tragfähige Zukunftsvision für die Post-Brexit-Ära. Die wirtschaftliche Stärke Großbritanniens soll durch eine Wiederbelebung der Nationengemeinschaft zurückkommen. Eine YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2016 stellt fest, dass 43 % der Briten finden, man könne stolz auf die Kolonialzeit sein.

Dieser Text macht deutlich, warum dieser Stolz nicht mehr als eine Halluzination sein kann, die ihre Macht vor allem daraus zieht, dass sich Großbritannien seiner Kolonialgeschichte nicht stellt. Der Autor zieht die Aufarbeitungsarbeit der Deutschen als Vergleich heran. Sie zeige, dass die Transformation der Schuld in Scham eine wichtige Voraussetzung dafür ist, befreit nach vorne zu schauen – anstatt sich einzubilden, die einstigen Kolonien warteten nur auf ein Empire 2.0.

Der Traum vom Empire 2.0

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Kommentare 4
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 7 Jahren

    Danke. Das ist überzeugend.

    Wenn wir den Kontinent betrachten, haben wir ein Phänomen, das die Imperien/Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts, die im 20. Jahrhundert untergingen, als geschichtsmächtige Phantome im 21. Jahrhundert wiederkehren oder drohen, wieder wirkmächtig zu werden.

    In Großbritannien wie im Artikel erläutert, in Moskau in einer bizarren Mischung, in der Zar und Stalin gemeinsam auferstehen oder der osmanische Alptraum des „Sultans“ in Ankara.

    Verbunden ist und muss das immer mit Geschichtsklitterung. Selbst wenn die alten Imperien so zusammenfielen, dass eine Wiederkehr selbst als Phantom nicht möglich ist, dauerte es dort länger bis eine Auseinandersetzung stattfand: in Wien zum Beispiel.

    Frankreich könnte auf der Kippe stehen.

    1. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 7 Jahren

      Und dieses unsägliche "make America great again" nicht zu vergessen ...
      Das Wühlen im Dreck sichert ja keine Wahlerfolge. Das müssten eher mutige Stimmen aus der intellektuellen Mitte übernehmen. Vielleicht kann da tatsächlich das Internet noch mehr leisten als bisher.

      Btw: Was ist Geschichtsklitterung?

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 7 Jahren

      @Silke Jäger Ja, sicherlich. Wir finden bestimmt viele Beispiele in vielen Kontinenten. Ich beschränkte mich auf einige europäische Beispiele.

      Laut Duden ist Geschichtsklitterung eine "aus einer bestimmten Absicht heraus verfälschende Darstellung oder Deutung geschichtlicher Ereignisse oder Zusammenhänge".

      Dies kann natürlich auch in den ehemaligen Kolonien geschehen. Davon erzählt der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto.
      http://www.berliner-ze...

    3. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 7 Jahren

      @Achim Engelberg Vielen Dank für die sehr aufschlussreichen Erklärungen und Ergänzungen. Danke, dass du dir Zeit dafür genommen hast. Ich war heute morgen etwas in Eile ...
      Danke auch für den Link. Couto spricht davon, dass er in seinem Buch kleine Geschichten erzählt, aus denen dann Geschichte wird. Und zitiert den neuen Präsidenten Mosambiks: „Es ist besser, wenn wir die Geister wecken, als dass wir von diesen Geistern geweckt werden.“ Das gefällt mir sehr.

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