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Flucht und Einwanderung

Die Özil-Debatte: Ein Zeichen, wie weit Integration fortgeschritten ist

J. Olaf Kleist
Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Flüchtlingsforschung

am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Berlin.

Gründer des Netzwerks Fluchtforschung.

Forscht zu, schreibt über und kommentiert Migrations- und Flüchtlingspolitik, insbesondere aber nicht nur in Deutschland und Europa.

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J. Olaf KleistSonntag, 29.07.2018

Die #MeTwo-Aktion, die durch Mesut Özils Rücktritt und Brandbrief ausgelöst wurde, legt einen strukturellen Rassismus in Deutschland offen, der den meisten weißen Nicht-Migrant*innen verborgen bleibt. Diese Offenbarung macht vielen deutlich, welche hohen Hürden der Integration in unserer "megamultikulturellen" (Ataman) oder "superdiversen" (Vertovec) Gesellschaft bestehen. So mag für einige der Eindruck entstehen, als sei Integration gescheitert - und selbst Özil wurde dies vorgeworfen, der doch tatsächlich "hyperintegriert" (El-Mafaalani) ist. Tatsächlich lässt sich die Özil- und #MeTwo-Diskussion aber auch als ein Beweis interpretieren, wie weit die deutsche Migrationsgesellschaft inzwischen gekommen ist. Ferda Ataman argumentiert hier in Bezug auf Aladin El-Mafaalani, Soziologie Professor und jetzt Abteilungsleiter im Integrationsministerium von NRW (hier ein Interview (Paywall) mit ihm im aktuellen Spiegel), dass eine solche Debatte vor ein paar Jahrzehnten noch nicht möglich gewesen wäre. Die Einwanderer haben heute - bei allen Diskriminierungen die sie erleben - einen anderen Anspruch an die Gesellschaft als die vorherige Generation, den sie auch explizit benennen und einfordern. Sie fordern die Gleichheit ein, die ihnen zusteht, und lassen sich von Argumenten eines Vorrangs vermeintlich Alteingesessener nicht einschüchtern. Dies ist nicht nur als Zeichen der Resilienz der Betroffenen zu werten, sondern auch als Fortschritt der Einwanderungsgesellschaft, in der auch Migranten und deren Nachfahren Raum finden, ihre Rechte ohne Zurückhaltung einzufordern. Diesen kleinen Fortschritt darf man sicherlich nicht zu hoch hängen. Die Kampagne gegen Özil und die große Verweigerung, Rassismus zu benennen und zu bekämpfen, sind zentrale Probleme, denen entschieden begegnet werden muss. Die Einwanderungsgesellschaft braucht dafür eine Streitkultur und Auseinandersetzungen. Aber immerhin haben wir diese nun und das ist zumindest ein kleiner Fortschritt.

Die Özil-Debatte: Ein Zeichen, wie weit Integration fortgeschritten ist

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Kommentare 17
  1. Tobias Schwarz
    Tobias Schwarz · vor mehr als 6 Jahre

    Es stimmt natürlich, dass die aktuelle Diskussion für eine veränderte soziale Realität steht, vermutlich auch eine ehrlichere Diskussion, weil Bruchstellen offensichtlicher geworden sind. Aber was Ferda Ataman als "Etabliertenvorrechte" abtut, ist die kulturell denknotwendige Voraussetzung für "Integration", für Ankommen, letztlich für Migration als solche.

    1. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor mehr als 6 Jahre

      Das ist aber eben vielleicht genau das Problem an der Vorstellung von „Integration“: dass die Stigmatisierung von Migranten (Außenseitern) durch Etablierte normal scheint. Das macht sie aber nicht rechtens. Hingegen ist gerade die Auflehnung gegen eine Stigmatisierung ein Zeichen von Integration, nämlich dass die Ungleichheit nicht akzeptiert wird.
      Wäre es fair zu sagen, dass von Armut Betroffene nicht über Privilegien von Reichtum sprechen sollten, da Ungleichheit zu Kapitalismus gehört?

    2. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 6 Jahre

      @J. Olaf Kleist Das ist eine völlig verquere Metapher.

      Jeder kann über die Ungleichheit *reden*, man kann auch über Fragen der Umverteilung *reden*.

      Richtiger wäre in diesem Fall allerdings eine Metapher, die Zwangsenteignungen als Recht bezeichnete, denn sonst bleiben die Privilegien ja bestehen.

      Wenn die Gruppe der Privilegierten aus moralischen oder sonstigen, z.B. politischen Gründen heraus eine Umverteilung akzeptiert, u.U. auch eine Redefinition des politischen Subjekts, dann ist das das eine. Wenn diese Entscheidung oder diese Veränderung aber erzwungen wird, dann ist das etwas vollkommen anderes, letztlich kriegerisches.

      Da kann man dann lange drüber streiten, auf welcher Seite der Auseinandersetzung man aus welchen Gründen stehen möchte, aber das ändert nichts an der Struktur des Konflikts.

      Wenn man zur Klärung der logischen Struktur mal von dem vorurteilsreichen Bereich Migration weggeht und sich einfach dem Bereich in-group/out-group zuwendet, wird die Absurdität der Forderung nach der Aufhebung solcher - notwendig inhärent auftretenden - Unterscheidungen offensichtlich, erst Recht wenn es nicht nur um formale, sondern um informelle Rechte geht ("Kultur").

      Aber selbst im rein formalen Bereich ist das ja eigentlich offensichtlich: Wenn ich einem Verein beitreten möchte, haben alle, die dem Verein angehören - wenn sie sich diese Satzung gegeben haben, und es ist *ihr Vorrecht, das zu tun oder zu lassen* -, das Recht über meine Neumitgliedschaft abzustimmen.

      Ich kann nicht ohne den *Consent* der In-Group von der Out-Group in die In-Group wechseln (und deren Wesen als politisches Subjekt verändern).

      Jeder Versuch, das zu tun, muß logisch und faktisch scheitern, denn solange die Kategorien der Unterscheidung gegeben sind, ist Selbstermächtigung ja notwendig völlig sinnlos.

      Gleichzeitig müssen die Mitglieder der bisherigen In-Group den Versuch der Selbstermächtigung als einen aggressiven Akt verstehen, dem auf die eine oder andere Weise begegnet werden muss.

      Nochmals anders formuliert: das notwendige und inhärente Bestehen von "Etabliertenvorrechten" ist völlig unabhängig von der Akzeptanz des gleichen inhärenten Wertes von Menschen.

      Aus dem ergibt sich nämlich nicht gleichzeitig die Äquivalenz aller Kollektive und Kollektivrechte. So etwas zu behaupten ist Pippi Langstrumpf-Politik - Ich bastele mir meine Welt, wie sie mir gefällt. Derartiges Wunschdenken ist für die gegenwärtigen politischen Probleme weitgehend verantwortlich.

      Es ist gut, dass sie z.B. von der Özil-Debatte in die Öffentlichkeit gebracht wurden. Jetzt haben alle die Chance, sich ehrlich zu machen. Dann kommt vielleicht auch etwas Sinnvolles bei der Diskussion raus.

    3. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor mehr als 6 Jahre

      @Tobias Schwarz Lieber Herr Schwarz,
      das Thematisieren von Rassismus kommt doch keiner Zwangsenteignung gleich. Niemand will irgendjemand etwas wegnehmen sondern Rassismus und damit einhergehende Nachteile für Betroffene vermeiden. Das wollen Sie doch sicherlich auch, oder?
      Lassen wir meine Metapher der ökonomischen Ungerechtigkeit mal außen vor - sie ist sicherlich wie jede Metapher schief, wenn auch nicht so wie sie meinen. Mindestens ebenso schief und wenig hilfreich ist allerdings auch ihre Metapher des Vereins. Jene die in der #MeTwo-Diskussion ihre Stimme erheben, wollen keiner Gruppe beitreten - sie sind längst Mitglieder dieser Gesellschaft, Staatsbürger*innen, sie sind meist hier geboren oder als Kinder nach Deutschland gekommen aber werden immer noch als nicht dazugehörig wahrgenommen, weil sie aufgrund ihres Aussehens, ihres Namens, vielleicht wegen ihrer Sprache oder Religion einer "Out-Group" zugeordnet werden - so wie Sie das beschreiben. Jedenfalls will niemand "aggressiv" und "kriegerisch" etwas erzwingen (ich weiß wirklich nicht, wie Sie darauf kommen), sondern es wird gefordert, dass jene die als etabliert gelten (so wie ich), anerkennen dass sie gegenüber als Außenseitern wahrgenommenen privilegiert behandelt werden. Es geht also nicht um eine Gleichheit von Kollektiven sondern von Mitglieder einer Gesellschaft - einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft, in der Nichtdiskriminierung doch einen hohen Stellenwert haben sollte, meinen Sie nicht?
      Um vielleicht doch nochmal auf Ihre Metapher zu kommen: Wir gehören schon längst alle dem gleichen Verein an und alle Mitglieder sollten die gleichen Rechte genießen. Wenn aber Mitglieder sich beschweren, deren Eltern vielleicht nicht auch schon Mitglied waren, dass sie benachteiligt werden, so sollten wir als Verein/Gesellschaft das ernst nehmen und darüber sprechen.
      Ich verstehe Sie nun so - berichtigen Sie mich, falls ich falsch liege -, dass Sie die Ungleichbehandlung als "Etabliertenvorrecht" rechtfertigen - wenn meine Eltern in Deutschland geboren wurden, so sollte ich ein Vorrecht genießen? - und das Verlangen nach Gleichberechtigung als "aggressiven Akt" verstehen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie tatsächlich meinen, dass ich auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt schlechtere Aussichten haben sollte, hätte ich nicht einen so deutschen Namen. Aber um diese vielfach nachgewiesene Ungleichbehandlung geht es eben bei #MeTwo. Wenn nun jene die nicht gerade den Nachnamen eines klassisch deutschen Autorens teilen sagen, ich will aber die gleichen Chancen auf Arbeit und Wohnung wie Olaf Kleist oder auch ein Tobias Schwarz, dann ist das nur fair aber nicht aggressiv, oder? Alles andere, also ein so begründete Diskriminierung, schiene mir rassistisch. Die Forderung, rassistische Praktiken abzuschaffen, ist hingegen ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Sie als einen Angriff auf Etablierte in dieser Gesellschaft zu verstehen macht dann eigentlich nur Sinn, wenn man meint, dass Rassismus inhärenter Bestandteil der Kultur der Etablierten sei. Aber das können Sie ja auch nicht meinen.

    4. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 6 Jahre

      @J. Olaf Kleist Zitat: "Jene die in der #MeTwo-Diskussion ihre Stimme erheben, wollen keiner Gruppe beitreten - sie sind längst Mitglieder dieser Gesellschaft, Staatsbürger*innen, sie sind meist hier geboren oder als Kinder nach Deutschland gekommen aber werden immer noch als nicht dazugehörig wahrgenommen, weil sie aufgrund ihres Aussehens, ihres Namens, vielleicht wegen ihrer Sprache oder Religion einer "Out-Group" zugeordnet werden - so wie Sie das beschreiben."

      Das ist doch genau der Punkt. Sie behaupten die Zugehörigkeit, während sie gleichzeitig feststellen, dass Ihre Behauptung nicht stimmt. Es wird also ein Anspruch erhoben, aber man kann die Aufnahme in die in-group der In-Group ja nicht verordnen oder erzwingen, z.B. durch Entkopplung der wahrgenommenen Gruppenzugehörigkeit und der Staatsbürgerschaft (auch wenn das *individuell* natürlich für jeden Menschen mit Migrationshintergrund ein großes Problem sein kann, zwischen den Kategorien zu leben).

      Dennoch ist die Aufnahme maximal ein organischer Prozess, der, wie sie ja auch wahrnehmen, eben nicht abgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang haben sich zuviele Menschen mit allerbesten Absichten zu lange einfach etwas vorgemacht. ("I want to believe!") Das fällt jetzt allen auf die Füße.

      Übrigens ist ja auch beim besten Willen nicht mehr so eindeutig, was die In-Group ist und wie sie sich konstituiert, in Abgrenzung zu "bio-deutsch". Das ist die "normative Kraft des Faktischen", die - sofern als nicht organisch, sondern konstruiert empfunden - von manchen eben als aggressiv wahrgenommen wird. Zum Beispiel wenn Ferda Atawan erklärt, was *eigentlich* deutsch sei.

      Zitat: "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie tatsächlich meinen, dass ich auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt schlechtere Aussichten haben sollte, hätte ich nicht einen so deutschen Namen."

      Es ist sicher wichtig, über die genaue Bedeutung des Begriff "Etabliertenvorrecht" zu sprechen. Natürlich sollte niemand, der neu ankommt (und bleiben darf), formal rechtlich benachteiligt sein - außer bei der Zugehörigkeit zum Abstimmungskollektiv, dem politischen Subjekt -, das haben wir als Gesellschaft uns auf Basis unserer Prinzipien zu Recht auferlegt.

      Aber ist es wirklich notwendig problematische Diskriminierung, wenn ein Vermieter in Ostfriesland lieber an Menschen vermietet, von denen er weiß, dass sie mit dem Ort und der Region verbunden sind? Aus meiner Sicht nicht. Das ist ein Etabliertenvorrecht, das sich aus einer konkreten historischen Situation ergibt, und das irgendwann von dann organisch in das zukünftige Kollektiv einbezogenen Menschen ebenfalls geltend gemacht werden wird, dann gegenüber dann neu Ankommenden. Implizite Vorrechte und Integration bedingen sich gegenseitig.

      Was die Frage der inhärenten Existenz von Rassismus betrifft, denke ich, dass sich solche gruppenbezogenen Phänomene aus der Entwicklungsgeschichte des Menschen ergeben. Um in der modernen, technisch notwendig global verbundenen, Welt sinnvoll miteinander interagieren zu können, ist es aus meiner Sicht notwendig, bei solchen Problemen nicht mehr sozialkonstruktivistischen, pseudo-marxistischen Träumereien vom immer erziehbaren neuen Menschen anzuhängen, und zu behaupten, dass alle solchen gruppenbezogenen Phänomene Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit seien, wie das in der ja auch im Artikel immer wieder aufgegriffenen Reihe aus Bielefeld getan wird.

      Sonst wird man keine Antworten auf die zweifellos drängenden Fragen finden

    5. Dirk Janssen
      Dirk Janssen · vor mehr als 6 Jahre

      @Tobias Schwarz Moin Herr Schwarz, Als Ostfriese muss ich sie jetzt fragen, was Sie denn sagen würden, wenn wir ausschließlich an Ostfriesen vermieten würden mit der Begründung, dass Menschen aus anderen Landesteilen nicht so verbunden mit meiner Heimat sind, weil sie keine Ostfriesen sind? Was Sie in epischer Länge in ihren Kommentaren beschreiben ist, so wie ich es verstanden habe, eine sehr verklausulierte, mit dem Versuch das Ganze in ein elitäres, intellektuelles Gewand zu kleiden, Rechtfertigung, ein Rassist zu sein. Warum sollte ein Verein beispielsweise neue Mitglieder ablehnen, wenn sie sich nach der Aufnahme an die Satzung halten und was sollte Europa dagegen haben, Migranten aufzunehmen? Und vor allem, warum sollte Europa, wenn es die Migranten aufgenommen hat, sich nicht an Diskriminierungsverbote gegenüber allen Menschen, wie in den Verfassungen verankert halten?

    6. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 6 Jahre

      @Dirk Janssen Moin Herr Jannsen, na klar sind Menschen aus anderen Landesteilen vermutlich nicht so mit Ostfriesland verbunden, vollkommen richtig, ich zum Beispiel. Noch anders: ein solches implizites Etabliertenvorrecht könnte auch einer schon lange dort ansässigen Menschen mit Bezug zur Region zu Teil werden, mir aber nicht, trotz meiner "biodeutschen" Biographie. Strukturell hat das Bestehen von impliziten Etabliertenvorrechten nicht notwendig etwas mit einem nationalen Bezugsrahmen zu tun. Das war ja der Punkt meines Beispiels.

      "Warum sollte ein Verein beispielsweise neue Mitglieder ablehnen, wenn sie sich nach der Aufnahme an die Satzung halten..."

      Der Punkt hier ist doch nicht, dass es der Verein ablehnen *muß* oder soll, sondern dass es das Vorrecht der bisherigen Mitglieder ist, darüber zu entscheiden, und eben keines der Nichtmitglieder. Wenn der Verein sich eine offene Satzung gegeben haben, die neue Mitglieder jederzeit aufnimmt, z.B. unter den von Ihnen skizzierten Bedingungen, dann ist doch alles gut. Nur muß jederzeit (theoretisch, praktisch immer komplizierter, klar) offenbar sein, wer das handelnde politische Subjekt ist.

      "warum sollte Europa, wenn es die Migranten aufgenommen hat, sich nicht an Diskriminierungsverbote gegenüber allen Menschen, wie in den Verfassungen verankert halten"

      Na klar sollte Europa das. Habe ich oben übrigens auch geschrieben.

      "intellektuelles Gewand zu kleiden, Rechtfertigung, ein Rassist zu sein"

      Was ich geschrieben habe, ist eine Hinweis, das politische System nicht mit Hoffnungen zu überlasten, die ganz offenbar vom Verhalten vieler in ihm lebender Menschen nicht gedeckt sind. Ein solcherart überlastetes System wird nämlich nicht mehr in der Lage sein, auf Herausforderungen zu reagieren, was man, in Ansätzen, ja jetzt schon sieht.

    7. Dirk Janssen
      Dirk Janssen · vor mehr als 6 Jahre

      @Tobias Schwarz Ehrlich gesagt, finde ich es schrecklich, was Sie schreiben.

      1. Sobald jemand (ein Verein, ein Staat oder sonst wer) jemanden in seinen Kreis aufgenommen hat, erlischt ihr sogenanntes "Etabliertenvorrecht". Ansonsten müsste da sowas stehen wie "Wer drei Generationen Mitglieder bei seinen Vorfahren nachweisen kann, hat dreifaches Stimmrecht" So etwas steht da aber gerade nicht, sondern am Beispiel unseres Grundgesetzes sind jegliche Diskriminierungen oder Benachteiligungen aufgrund der Kriterien, die Sie andeuten, verboten.

      2. Das politische System wird nicht mit Hoffnungen überlastet, sondern fordert seine Bürger auf, sich an die Gesetze, auch im Umgang mit anderen Menschen zu halten. Wenn man ihre Bemerkungen zu Ende denkt, schlagen Sie also vor, die Menschenrechte so weit zurückzudrehen, bis die Mehrheit der Gesellschaft das aushalten kann?

      Vielleicht ist mir immer noch nicht klar, was Sie eigentlich sagen wollen, vermutlich sehe ich ihren Punkt vor lauter Verschwurbelung nicht, aber mich beschleicht ein komisches Gefühl, wenn ich lese, was Sie schreiben.

    8. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 6 Jahre

      @Dirk Janssen Hallo Herr Janssen, ganz ehrlich, ich finde es zwar nicht schrecklich, aber doch irritierend, was Sie schreiben. Ihr erahne da ein Pippi-Langstrumpf Weltbild ("Ich mal mir eine Welt, wie sie mir gefällt!")

      ad 1) ja, wenn die Aufnahme in den Verein erfolgt ist, gibt es in diesem Zusammenhang natürlich keine Etabliertenvorrechte mehr. Habe ich ja auch mehrfach geschrieben. Informelle, bzw. kulturelle, Etabliertenrechte (Privilegien), siehe meine Benachteiligung als Nichtostfriese beim Mieten in Ostfriesland, sind so schlicht nicht erfassbar. Der Versuch, diese zu formalisieren wird vermutlich scheitern müssen, weil sie auf einem organischen Prozess beruhen, der nicht wirklich administrativ erfassbar ist.

      ad 2) Doch wird es, das ist ja gerade an dieser Debatte offensichtlich geworden. Die Frage, was das politisch genau bedeutet, kann man kaum schnell beantworten, aber klar ist, dass Menschenrechte eben nur dann wirkliche Rechte sind, wenn sie von einem durchsetzungsfähigen territorialen Gewaltmonopol (aka Staat) durchgesetzt werden können. Anders formuliert: wo sie nicht effektiv geschützt werden, sind Rechte eben keine Rechte. Das wiederum impliziert notwendig - in einer Demokratie - dass die strukturelle Mehrheit der Bevölkerung die Durchsetzung dieser Rechte gegen andere und sich selbst akzeptieren *muss*. Ich würde behaupten, dass das zur Zeit der Fall ist. Aber deswegen ist es eben wichtig, das politische System nicht mit Hoffnungen auf Veränderungen der Haltung der Menschen zu überlasten, die dann diese Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung untergraben. Das wäre nämlich dann entweder das Ende von Demokratie oder das Ende der Akzeptanz von Menschenrechten. Beides ist sicher kein Szenario, dass Sie und ich gut finden.

      Was Ihre komischen Gefühle betrifft, kann ich Ihnen wohl leider nicht helfen.

    9. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor mehr als 6 Jahre

      @Tobias Schwarz Ich möchte die Bedenken von Dirk Janssen unterstreichen. Sie machen offenbar eine Unterscheidung zwischen einigen Staatsbürgern die Vorrechte genießen sollen und anderen Staatsbürgern, die sich anpassen sollen (sofern das geht). Es klingt für mich alles sehr nach Carl Schmitt. Ich frage mich, ob Sie Sich über die Konsequenzen Ihrer Position nicht im klaren sind oder - was ich befürchte - bewusst Diskriminierung und Rassismus rechtfertigen und mit Jargon, Metaphern und Andeutungen zu verschleiern versuchen. Daher eine konkrete Frage: Wer gehört Ihrer Meinung nach denn zu der In-Group, den Etablierten in Deutschland? Wer soll bestimmen, wer jenseits von Staatsbürgerschaft wie "dazugehört"?

    10. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor mehr als 6 Jahre

      @J. Olaf Kleist Hallo Herr Kleist,

      "Sie machen offenbar eine Unterscheidung zwischen einigen Staatsbürgern die Vorrechte genießen sollen und anderen Staatsbürgern, die sich anpassen sollen (sofern das geht)."

      Siehe meine letzte Antwort an Herrn Janssen, kann es und darf es hinsichtlich der von Staatsbürgerschaft erfassten Aspekte keine Differenzierung nach der Verleihung der Staatsbürgerschaft geben.

      Was aber auch die Özil-Debatte klar gemacht hat, ist halt, dass es viele Menschen gibt, für die ihre oder die Staatsbürgerschaft anderer eben keinen hinreichenden Schluß (mehr) auf ihre oder die subjektive (Primär-)identifikation anderer zulässt, und damit eben nicht mehr ausreicht, um sich subjektiv als Teil einer gemeinsamen Gruppe zu erkennnen. Anders formuliert, da wird eben für viele die administrative Behauptung einer bereits bestehenden Gemeinsamkeit ("wir") aufgestellt, die sie subjektiv nicht ganz so empfinden. Das gilt ja offenbar für Mesut Özil genauso wie für nicht wenige andere Menschen gleich welchen Migrationshintergrunds. Der kulturelle Hintergrund spielt eben doch offenbar für mehr Menschen eine größere Rolle als das lange erhofft wurde. Und die Entkopplung von subjektiver und administrativer Gruppenzugehörigkeit durch die großzügigere Vergabe von Staatsangehörigkeit mag einer empirischen Realität gefolgt sein, aber sie ist gerade dann nur ein Beleg dafür, dass es - idealerweise - eben einen Unterschied zwischen administrativem "Wir" und der subjektiven Empfindung vieler Menschen gibt.

      Wenn Staatsbürgerschaft für die meisten Menschen noch der einzige Indikator für die kulturelle Primäraffinität wäre, dann würde es die aktuelle Debatte ja nicht geben *können*, ob sie nun ein Hinweis auf das Forschreiten dieses Entkopplungsprozesses ist oder dessen Probleme aufzeigt.

      "Wer gehört Ihrer Meinung nach denn zu der In-Group, den Etablierten in Deutschland? Wer soll bestimmen, wer jenseits von Staatsbürgerschaft wie "dazugehört"?"

      Wie ja oben schon erwähnt, Teil des Entkopplungsprozesses ist ja, dass die Frage, was die In-Group ist, eben nicht mehr so einfach zu beantworten ist - das ist ja der Punkt von Frau Ataman und anderen und eben "MeTwo". Andererseits zeigt "MeTwo" genauso eben auch noch eine wahrgenommene und auch von vielen so wahrgenommene Differenz, die belegt, dass die administrative Zuordnung ("Staatsbürgerschaft") eben, s.o., von vielen Menschen (auf allen Seiten - "Biodeutscher" ist ja ein Begriff, bei dem man bis vor kurzem das "bio" als redundant bezeichnet hätte, mittlerweile hat der Begriff einen tatsächlichen Inhalt) nicht mehr als hinreichender Marker von gemeinsamer Gruppenzugehörigkeit verstanden wird.

      Der Punkt ist, dass die Entstehung einer gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit eben nicht administrativ verordnet werden kann, vollkommen unabhängig davon, ob ich mir wünsche, dass das anders wäre oder sie sich wünschen, dass das anders wäre, sondern ein organischer Prozess ist, der eben noch nicht abgeschlossen ist. Und so lange es da eine wahrgenommene und wahrnehmbare Differenz gibt, und - siehe Özil - auch ein implizite Gruppenhierarche wahrgenommen wird, ist die ganz praktische Existenz von impliziten, kulturellen Etabliertenvorrechten schlicht ein Hinweis auf das Fehlen subjektiv wahrgenommener Gemeinsamkeit. Gedreht wiederum bedeutet deren Abnahme das Voranschreiten von tatsächlicher Integration für die die Staatsbürgerschaft eben nur noch ein notwendiger, aber kein hinreichender Indikator mehr ist.

    11. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor 6 Jahren

      @Tobias Schwarz Lieber Herr Schwarz, nur weil etwas ist wie es ist, heißt das nicht, dass es so bleiben sollte wie es ist. Also, nur weil einige meinen, dass sie gleicher seien als andere, muss das nicht so sein. Solche Veränderungen sind dann keine organischen Prozesse, wie Sie das bezeichnen, sondern gesellschaftliche und politische. Ungerechtigkeit zu bekämpfen hat auch nicht nicht mal was mit Pippi Langstrumpf oder großen Idealen zu tun, sondern ergibt sich einfach aus dem Widerspruch von Rechtsanspruch und Wirklichkeit: Also das Diskriminierungsverbot (und das gilt nicht nur für Staatsbürger*innen) trifft auf die Wirklichkeit der Diskriminierung - das eben betonen die Beiträge zu #MeTwo, mehr nicht. Wenn Sie nun aber sagen, dass aus diesem Widerspruch die Diskriminierung durch (bio)deutsch Etablierte Vorrang haben soll vor rechtsstaatlicher und demokratischer (was Sie vielleicht "administrativer" nennen) Gleichheit haben soll, dann treten Sie tatsächlich - bewusst oder unbewusst - für einen rassistischen, anti-demokratischen Autoritarismus im Sinne Carl Schmitts ein und wir werden keine Ebene finden auf der wir uns verständigen können. Dass manchen Staatsbürgern aufgrund ihrer Herkunft oder Vorfahren nicht alle Rechte zugestanden wurden, das gab es schon mal. Letztlich ist es daher eine politische Frage, ob sich Ihr präferiertes autoritäres Gesellschaftsmodell durchsetzen wird oder wir Demokratie und Rechtsstaat bewahren können.

    12. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor 6 Jahren

      @J. Olaf Kleist Ehrlich gesagt, ich habe das Gefühl, wir reden wirklich aneinander vorbei. Ich lese Ihre Antworten und frage mich, was zum Geier liest der Herr Kleist da nur aus meinen Kommentaren heraus? Autoritarismus? Was das jetzt alles auch noch mit Carl Schmitt zu haben soll ist mir auch schleierhaft. Und dann das, da fragt man sich doch -

      Sie über meinen Kommentar hier:
      "Dass manchen Staatsbürgern aufgrund ihrer Herkunft oder Vorfahren nicht alle Rechte zugestanden wurden, das gab es schon mal."

      Ich weiter oben:
      "kann es und darf es hinsichtlich der von Staatsbürgerschaft erfassten Aspekte keine Differenzierung nach der Verleihung der Staatsbürgerschaft geben."

      Für mich bedeutet diese Diskussion wohl leider vor allem, dass es selbst hier, wie mittlerweile fast überall, nicht mehr möglich ist, ernsthafte, offene Diskussionen über aktuelle relevante Themen zu führen, ohne die beteiligten Personen persönlich zu kennen, damit Unterstellungen und Projektionen nicht von vornherein die Diskussion unmöglich machen. Die Sache mit Pippi Langstrumpf schließe ich da auf meiner Seite mit ein.

      Danke für den Austausch. Vielleicht ergibt sich ja an anderen Stelle irgendwann mal eine Gelegenheit zur Klarstellung.

    13. Dirk Janssen
      Dirk Janssen · vor 6 Jahren

      @Tobias Schwarz Moin, sie beklagen, dass man nicht offen diskutieren kann, aber leider sind gerade sie es, der einfach auf seiner Position beharrt. Sie haben Kommentare von zwei Menschen zu ihren Beiträgen bekommen, die ihre Auslassungen als Anleitung zur Rechtfertigung von Rassismus und Ungleichbehandlung verstehen. Vielleicht sollten sie sich, wenn sie sich missverstanden fühlen, mal die ganzen bedeutungsleeren Phrasen aus ihren Texten rausstreichen und mal schreiben, was Sie meinen. Ich habe nämlich das Gefühl, dass für die Essenz ihrer Meinung auch leichte Sprache ausreichen würde.

    14. Tobias Schwarz
      Tobias Schwarz · vor 6 Jahren

      @Dirk Janssen Auch Ihnen Danke für den Austausch, Herr Janssen, wenn er mich auch noch irritierter zurücklässt als der mit Herrn Kleist.

  2. Emran Feroz
    Emran Feroz · vor mehr als 6 Jahre

    El-Mafaalani sagt kluge Dinge. Mir persönlich gefällt zum Beispiel sein Gedanke, statt "Migrationshintergrund" einfach "mit internationaler Erfahrung" zu sagen. Das klingt nämlich wirklich cooler und hat auch eine sehr positive Konnotation. Bzgl. #MeTwo habe ich auch einige Dinge auf Twitter rausgelassen. Ich fürchte allerdings, dass dies nur ein weiterer kurzlebiger Online-Trend sein wird, der in der Realität wenig bis gar nichts verändern wird.

    1. J. Olaf Kleist
      J. Olaf Kleist · vor mehr als 6 Jahre

      Ich hätte auch gerne El-Mafaalanis Spiegel Interview gepiqd aber es ist leider nur im Abo lesbar. #MeTwo wird mag nach dem Sommer vergessen sein. Aber ich würde es nicht ganz ausschließen, dass sie der Anfang einer Diskussion sein könnte. Danke jedenfalls für Deinen Beitrag dazu.

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