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Geboren 1959 in Rostock, Lehre als Rinderzüchter, Arbeit im Beruf, 1990
Abitur. 1992 Studium Alte Geschichte und Latein an der Humboldt-Universität
Berlin. 1998 bis 2001 Aufenthalt in Südostasien, danach Jobs als Kellner in
Berlin. Seit 2005 Reportagen und Porträts für „taz" und „Freitag", 2006
Reportagen für den Reiseteil der „Welt am Sonntag", Reportagen für die "Sächsische Zeitung", für "Merian", für den Reiseteil der "FAZ", für Ressort Leben und Politik der "FAS".
Senj ist die Stadt der roten Zora und ihrer Bande. Die fünf Kinder im Buch haben ihr Vorbild in der Zeit, in der der Schriftsteller Kurt Held in der kroatischen Hafenstadt war, Sommer 1940.
Vielleicht haben sie die Nacht mehr geliebt als den Tag, Zora und Branko, Duro, Pavle und Nicola. Essen wollten sie und frei sein und Freiheit und Gerechtigkeit für alle, und Zora wollte Branko, aber der wollte sie nicht. Er wollte Zlata, die schöne Zlata, Tochter des Bürgermeisters, und fast hätte er sie gekriegt. Wenn Kurt Held, der Schriftsteller, es nicht verhindert hätte. Er hat es nicht zugelassen, dass die Geschichte von der roten Zora und ihrer Bande böse endet.
In den Sommernächten des Jahres 1940 schläft die Not in Senj für den Moment. Es ist dieser eine Sommer, es sind diese Nächte. Die Hitze ist weg und das Stumme, Träge, das von der Hitze kommt. Die Bora ist da, der Wind, der kühl durch das Tal in die Stadt hineinweht.
Das Licht der Lampen und Laternen ist da, das Licht der Kutter draußen auf Fang, das Licht des Mondes, und auf der Anhöhe außerhalb der Stadt, auf dem Westturm der Burg Nehaj, lehnt Zora an Brankos Schulter und hofft darauf, dass er für immer bei ihr bleibt.
Gemeinsam betrachten sie sich das Glitzern der Lichter, und Branko sagt nichts, er seufzt nur, ach, es ist so schön. Sie wissen beide noch nichts von der Liebe und nicht, warum sie sie nicht zusammenführt. Aber sie haben eine Ahnung davon, dass sie mehr Missverständnis ist und Reiberei als Harmonie.
Unten in Senj Lärm in den Gassen und auf den Plätzen, Heiterkeit, Leichtigkeit und das Vergessen. Leben für den Augenblick. Menschen, ihre Tänze und Lieder. Stille oben auf der Burg, die die Stadt beherrscht, den Pass und das Meer bis zu den Inseln Krk und Rab hin. Manchmal ein Kichern in den Sträuchern am Hang, Liebespaare.
Nehaj, eine Ruine, ein mythischer Ort. Sinnbild des Kampfes, und kämpfen wollen sie, Zora, Branko und die anderen drei. Nehaj, die Burg der Uskoken, der Freien in finsterer Zeit, einen Frühling und einen Sommer lang Fluchtpunkt der fünf Waisen von Senj, der Ausgestoßenen, Verfolgten.
An den Tagen des Sommers 1940 spazieren die Reichen in weißen Kleidern und unter Sonnenschirmen den Boulevard entlang und weiter den Burgberg zum Picknicken hinauf. Manche von ihnen fahren auch mit der Fähre hinüber zum Nacktbadestrand auf Rab.
Groß die Not der Zora und der Jungen, groß die Not der einfachen Leute in Senj, in den Dörfern und Weilern in den Bergen ringsum. Stur sind die Leute, erbarmungslos, sie müssen es sein. Sie kratzen sich ihr Leben zusammen.
Ein Kind ist Zora, Kinder sind sie alle fünf, kaum älter als dreizehn. Uskoken wollen sie sein, Rächer der Armen, der von den Reichen Betrogenen. Sie haben einander geschworen, eine Gemeinschaft zu sein, und sie schwören Rache an den Reichen. Der Schwur und der Hunger und der Zorn auf diejenigen, die alles haben, und sie selbst haben nichts, das hält Zora und ihre Bande zusammen, einen Frühling und einen Sommer lang.
Aber Duro verabscheut Branko, er betet Zora an. Die will nichts davon wissen. Was sie wissen will, ist, liebt Branko Zlata, eine von den Reichen, oder liebt er sie nicht. Eifersucht beginnt die Gemeinschaft zu zerstören, bis sie beinahe auseinandergebrochen ist. Pavle will weiterkämpfen, er will kämpfen, und Nicola, der zarte Nicola, sagt, sie ist so stark, die Zora, stärker als wir alle zusammen.
Zora will die Entscheidung, sie will Branko jetzt oder nie, sie wollte ihn von Anfang an. Blind vor Begehren ist sie, sie rast, sie wird Branko vernichten. Sie ist dazu entschlossen, sollte er sich ihr verweigern. Sie bricht den Schwur und verrät Branko, und nun wissen sie beide, Zora und Branko, dass die Liebe genau so ist, am Ende nichts anderes sonst als Hass und Niedertracht.
Kurt Held wollte die Rettung der Waisen von Senj. Für Kinder schrieb er, der Kommunist aus Deutschland und Emigrant in der Schweiz, den Sommer 1940 für einige Tage in Senj. Er sah das Elend, sah die Kinder in den Gassen, ein Mädchen darunter, braungebrannt, rothaarig, wild.
»Die rote Zora und ihre Bande«, Held fing das Buch zu schreiben an, als in Europa schon ein Jahr lang Krieg war, und nur noch wenig Zeit bis zur deutschen Invasion Jugoslawiens und dem Ustascha-Vasallenregime »Unabhängiger Staat Kroatien«, Frühjahr 1941.
Senj im Sommer 2008. Achtunddreißig Grad Celsius am Tag, neunundzwanzig nachts. Um Wasser kreisen die Gedanken, Wasser, um Schatten, um den Luftzug, der vielleicht hinter der nächsten Ecke ist. Noch ruht die Bora, doch sie wird kommen, am Abend, kühl, durch das Tal in die Stadt.
Nehaj, die Burg, ist keine Ruine mehr wie 1940. Hübsch renoviert, mit Restaurant im Burghof und Uskokenmuseum auf zwei Ebenen. Eine Sehenswürdigkeit. Weg der Mythos, der Anschein des Unvergänglichen.
Bürgermeister Darko Nekic wundert sich. War Kurt Held nicht links? Kommunist? Internationalist? Er versteht das nicht. Nekic weist darauf hin, dass Ante Pavelic, der Anführer der faschistischen Ustascha, in einem Dorf in der Nähe aufgewachsen und aufs Gymnasium von Senj gegangen ist. Ein Mann, der morden ließ und sich mit Hitler und Mussolini verbündete, um sein Ziel zu erreichen, ein Großkroatien als europäische Macht. Ein Mann, den Senj unterstützt hat.
Wie, fragt Nekic, wie konnte es jemandem wie Held in dieser Atmosphäre gefallen, rechts, nationalistisch, faschistisch, aggressiv. Wie konnte jemand wie er ein Buch über Senj schreiben, Bischofssitz, katholisch, konservativ? Keiner weiß, ob es die rote Zora tatsächlich gegeben hat. Ob Held von Zora nicht bloß von einem Senjer Kollegen gehört und dann ein Buch daraus gemacht hat, aus einer Anekdote. Die besten Schriftsteller Kroatiens hat Senj hervorgebracht, sagt der Bürgermeister. Blumige Erzähler. Wie alle Leute auf dem Balkan gute Erzähler sind, Märchenerzähler manchmal.
Dass Held gemeinsam mit seiner Frau, einer Schriftstellerin, in Senj war, weil sie Honorare für ihre Bücher eintreiben wollte. Ebenso, dass er krank wurde und die beiden deshalb eine Zeitlang dablieben. Dass er der roten Zora begegnet sein soll. Die Geschichten kennt Nekic alle.
Senj, sagt er, hat sich immer als Ausnahme begriffen, hat sich immer widersetzt. Den Türken, den Venezianern, der Königsdiktatur der Serben und Titos Kommunismus. Zuletzt im Bürgerkrieg von 1991 bis 1995 wieder den Serben. Die Front dreißig Kilometer hinter Senj, bei Otocac, und kein Serbe kam durch.
Widerstand, immer. Daher vielleicht Zora, die Wilde. Vielleicht ist das Held der Grund für das Buch gewesen, sagt Bürgermeister Nekic, ein Mann, den die konservativen Wähler von Senj ins Amt gehoben haben.
In Senj wird die rote Zora über Satellit empfangen. Die Serie von 1979, alle drei-zehn Folgen. Einer weiß immer darüber Bescheid, wann sie der Kinderkanal in Deutschland bringt, und dann wissen es alle. Manche haben sie auch auf DVD. Dass Deutsch kaum einer versteht, stört dabei nicht. Um Senj geht es schließlich, wie es damals war, und um diejenigen, die mitgespielt haben. Von denen sind einige in der Stadt.
Damir Vukelic hat die DVD. Er weiß noch, wie der Regisseur und einige vom Stab in die Schule kamen und nach Darstellern suchten. Einen der Gymnasiasten spielte Vukelic dann, den Sohn des Bürgermeisters, Bruder der schönen Zlata. Dreizehn war Vukelic, sportlich, und er war Zoras Double, wenn es nötig war. Heute hat er einen Bauchansatz und schneidet den Männern von Senj die Haare im eigenen Salon am Pavlinskiplatz.
Die Leute hier erinnern sich gern daran, sagt Dario Grandic. Ganz Senj lebte für die Dreharbeiten, jeder wollte dabei mitmachen, jeder wollte etwas dafür tun, unvergessen bis heute. Grandic war Stjepan, der Bauernjunge aus Brinje, der an den Markttagen immer mit den Eseln aus den Bergen herunter nach Senj kam. Dreher ist Grandic heute, er arbeitet in einer kleinen Fabrik. Er sagt, dass er zu den meisten Darstellern Kontakt hat, außer zu denjenigen, die in Serbien sind.
Andelko Kos, der der kleine zarte Nicola war. Er hat einem Treffen zugestimmt, doch dann kommt er nicht. Er lebt auf Krk, lässt er ausrichten. Die siebzig Kilometer bis nach Senj und wieder zurück sind ihm das Interview nicht wert. Er hat genug Interviews hinter sich, für kroatische Zeitungen. Die rote Zora, Fragen, Antworten, das Hin und Her. Er will das nicht mehr.
Nicht auf Krk, in Senj wohnt er, sagt Stanko der Fischer. Jeden Tag kommt Kos an den Hafen, wo er Bekannte trifft, und redet mit ihnen über dies und das. Stanko weiß es genau. Er selbst ist auch jeden Tag am Hafen, mit den anderen Fischern zusammen und mit ihren Booten, und sagt, dass er Kos beinahe täglich sieht.
Er ist scheu, sagt Stanko. Soldat war Kos im Krieg gegen die Serben, an der Front bei Otocac. Er hat viel gesehen, vieles Schreckliche, deshalb kriegt er Rente. Andelko Kos erträgt die Nähe von Menschen nicht lange, sagt Stanko, besonders die von Fremden nicht.
Auf Serbisch hat Jugoslawien die Serie 1979 synchronisiert. Das wollte sich keiner in Senj ansehen. Sie haben die Serie boykottiert, wenn sie im Staatsfernsehen kam. Deutschsprachige Videos kursierten.
Die Serben, sagen die Senjer, was haben die mit dem Meer zu tun, was mit den Uskoken. Der Kinofilm von 2008 wird ignoriert, weil er in Montenegro entstanden ist, wie Serbien den Senjern ein anderer Planet.
Im Senj von heute ist Zora Patriotin, sie wird verehrt, anders als im Buch. Da ist sie eine Ausgestoßene, Verfolgte. Dabei steht sie für den bedeutsamsten Teil der Geschichte und Tradition der Stadt. Sie ist eine Zugewanderte wie die Uskoken Zugewanderte gewesen sind. Ich bin Albanerin gewesen, bevor ich in Senj Uskokin wurde, sagt sie an einer Stelle im Buch.
Aber nicht immer kümmert Senj die rote Zora und ihre Bande. Es sind Ferien, es geht ums Feiern. Am Abend, dann, wenn die Bora da ist, faucht und an den Röcken zerrt und an den Frisuren.
Die Alten sitzen dann auf dem Pavlinskiplatz, Feriengäste gucken und wie sie über den Platz gehen und in die Gassen hinein, dorthin, wo die Tänze sind, die Lieder und Kinder, kleine, große, viele. Nur Nehaj oben schweigt, die Burg, Mondlicht auf den Wehrgängen.
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Sehr schöner Artikel. Er trifft den Kern. Ich kenne Senj sehr gut und die Rote Zora meiner Jugend hat mich dorthin gebracht. Eines meiner wichtigsten Lieblingsbücher.