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Technologie und Gesellschaft

Rettet die Kinder! Aber lasst ihnen dabei ihre Smartphones!

Jannis Brühl
Redakteur
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Jannis BrühlFreitag, 11.08.2017

Mein Vater ist kein Kulturpessimist: „Früher haben sich die Jugendlichen an der Bushaltestelle Kippen angezündet. Und auf dem Land haben sie Frösche mit Strohhalmen aufgeblasen und versucht, sie zum Explodieren zu bringen. Da ist es mir lieber, dass sie heute aufs Smartphone schauen.“ Einen ähnlich unaufgeregten Blick auf die „Generation Smartphone“ hat Psychiater Jan Kalbitzer. Sein Text ist eine Antwort auf den der Psychologin Jean Twenge, der seit vergangener Woche viral geht - wohl, weil er die Angst vieler Eltern bestätigt. Sie argumentiert, dass Smartphones unsere Kinder verblöden: Sie machten sie asozial, einsam, depressiv. Kalbitzer hält unaufgeregt dagegen. Der Atlantic-Artikel ignoriere wichtige Studien: Kinder spielten sehr wohl immer noch gerne Fußball mit anderen. Unter Bezug auf Psychologin Sarah Cavangh schreibt er:

„Cavanagh kritisiert auch, dass Twenge Zusammenhänge herstellt, die willkürlich sind. Denn genauso, wie Twenge den Rückgang von Sexualkontakten unter Jugendlichen auf die Einführung des iPhones zurückführt, kann man auch die Dating-App Tinder für den Anstieg der Geburtenrate in den letzten Jahren verantwortlich machen. Oder eine Zunahme der lokalen Storchenpopulation. Zuletzt führt Cavanagh aus, dass man eine neue Generation, die weniger raucht, weniger trinkt und weniger Auto fährt, wohl kaum als eine zerstörte Generation bezeichnen kann.“

Eltern seien etwa verantwortlich dafür, Kindern beizubringen, dass geschriebene Worte anders wirkten als gesprochene. Dann müssten sie auch kein gutes Geld für apokalyptische Ratgeber ausgeben. Autoren wie Twenge oder der notorische Manfred Spitzer bedienten nur ihre Unsicherheit. Gegen die Ängste junger Menschen helfe deshalb aber kein Handyverbot, sondern:

„Etwas zu tun gegen eine entfesselte Marktwirtschaft mit ihrer perfiden Verführung zum Dauerkonsum und gegen die Haltlosigkeit der Einzelnen in zunehmend fragmentierten sozialen Strukturen.“
Rettet die Kinder! Aber lasst ihnen dabei ihre Smartphones!

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Kommentare 5
  1. Bernd Oswald
    Bernd Oswald · vor 7 Jahren

    guter Piq, Kalbitzer differenziert sauber. Am meisten stimme ich diesem Aspekt zu: "Man muss ihm [dem Kind], bevor man es mit den sozialen Medien und Messengerdiensten allein lässt, vermitteln, dass geschriebene Nachrichten möglicherweise anders beim Empfänger ankommen als gesprochene Worte." Da sind wir wieder mal beim Überthema Medienkompetenz. Wie nutze ich ein Gerät sinn- und maßvoll? Welche Gefahren gibt es dabei, welche Vorzüge? Das hat dann auch gar nicht mehr so viel mit dem Smartphone zu tun, sondern eher mit dem Netz an und für sich, und der Fähigkeit, einschätzen zu können, wer dort mit welchen Zielen unterwegs ist.

  2. Reto Eggimann
    Reto Eggimann · vor 7 Jahren

    Wie Eltern ihre Kinder begleiten und stärken können, im Internet die Contenance zu bewahren anstatt impulshaft auf jeden Reiz zu reagieren, beschreibt Felix Rauh im Buch "Fit und fair im Netz" alltagsnah und gut verständlich.

  3. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor 7 Jahren

    Ich verstehe, wem der Twenge Text zu dramatisch ist - mir als Vater von 2 Teenagern ist er es nicht. Auffällig ist aber auch die Betroffenheit der Kritiker der Kritik - ständig lese ich das Wort "Apokalypse", überall besteht scheinbar der Drang sich über die Mahnung lustig zu machen und sie als Angstmacherei zu verteufeln. Mir kommt das bequem und leichtfertig vor - muss unsere neue, schöne, digitale Welt so super sein, dass Twenges Text quasi als obszön empfunden wird?
    Dass Twenge ein Handy-Verbot gefordert hätte, könnte ich mich jedenfalls nicht erinnern, aber „etwas zu tun gegen eine entfesselte Marktwirtschaft mit ihrer perfiden Verführung zum Dauerkonsum und gegen die Haltlosigkeit der Einzelnen in zunehmend fragmentierten sozialen Strukturen“ bedeutet definitiv genaue, ständige und kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen, gemeinsam mit den Teenies. Und es bedeutet unbedingt auch die Regulierung der Nutzung. Kalbitzer sagt das ja auch, aber Fakt scheint mir, dass eben dieser sorgsame Umgang nicht gegeben ist. Selbst die meisten Erwachsenen, die ich kenne, sehen tendenziell kritisch auf ihr eigenes Smartphone Nutzungsverhalten. Ich jedenfalls.

    1. Jannis Brühl
      Jannis Brühl · vor 7 Jahren

      Denke, das ist eine Art Polarisierungsproblem: Wer sich, wie Kalbitzer, einen differenzierten Umgang wünscht, sieht sich zugleich gezwungen, den eher alarmistischen Texten zu widersprechen - weil die sich nunmal wie Lauffeuer verbreiten bzw. die entsprechenden Bücher sich sehr gut verkaufen(Spitzer). Dadurch wirkt seine Position dann eher konträr als differenziert - und alles sieht mehr nach Polarisierung aus, als es ist. Und Twenge spricht sich am Ende tatsächlich nicht für ein Verbot aus - aber ich denke, viele Eltern könnten den Schluss aus ihrem meiner Meinung nach zu dramatischen Text ziehen. Am Ende sehe ich Kalbitzer als realistischer und deshalb auch konstruktiver. Er verweigert sich der Debatte ja nicht. Und übrigens schaue ich auch kritisch auf mein Nutzungsverhalten - statt den Kopf zu schütteln über Kids, die in der S-Bahn auch nicht mehr auf ihr Handy starren als ich. Interessant in dem Zusammenhang sind tatsächlich auch technische/Design-Lösungen, wie die, an denen Tristan Harris arbeitet: https://www.theatlanti...

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 7 Jahren

      @Jannis Brühl ja großes Schwarzweiß mal wieder...so fing mein Kommentar auch an, aber das war dann zu lang :) - Wollte vor allem sagen: ein gewisser Alarm macht total Sinn in der Angelegenheit. Dabei geht es nicht um Smartphone-Usage als solches...zocken und youtube halte ich persönlich für weitgehend undramatisch. Multichannel-Kommunikation aber, die superpermanent bei teilweise unklaren Absender-und Empfängerverhältnissen, hochfrequent jede Art von Konzentration und Einlassung torpediert, ist einfach Nervengift für ein Kind, das eben angewiesen ist auf echtes Feedback und reales Erleben um seine soziale Position und seine Wesenswerdung zu betreiben. Wie gesagt, ist ja auch nicht ohne für Erwachsene - in einer Phase maximaler Prägbarkeit, Unsicherheit und intensiver Suche, ist es richtig bitter und ungesteuert eben viel mehr Risiko als Chance.

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